Das rote Band
verständnislos an. „Aber Torin meinte, Ihr bräuchtet es dringend“, erwiderte sie.
Oh, er war sich nicht zu schade, die arme Frau für seine Zwecke zu missbrauchen! „Ich will seine milden Gaben nicht!“, wiederholte Eloïse etwas freundlicher. „Soll er das Geld den anderen Damen geben, die sich immer dankbar darüber freuen.“
„Welche anderen Damen?“, fragte die Amme verwirrt.
Eloïse verschränkte die Arme vor der Brust. „Na die, die ihm sonst nachts zu Diensten sind.“
Nun sah Manon streng zu ihr auf. „Ich weiß nicht, was Torin in Greystone getan hat, aber in Walraven hat er noch nie dieser Art von Vergnügen gefrönt, im Gegensatz zu seinem Vater“, erklärte sie. „Torin hat dieses Verhalten stets verachtet.“
„Mag sein, aber nun praktiziert er es selbst. Das durfte ich persönlich erfahren“, erwiderte sie bitter.
Der Gesichtsausdruck der Amme wurde mild. „Er hat gelogen. Ich habe Euch doch zu verstehen gegeben, Mylady, dass es Torin nicht leicht fällt, seine Gefühle zu zeigen. Er ist wie der Winter, hart zu sich selbst und anderen. Doch im Inneren ...“
„Das war ein Märchen, Manon!“, unterbrach Eloïse sie heftig, da ihre Augen sich schon wieder mit Tränen füllten. „Und die erfüllen sich im wahren Leben nicht. Ich bin nicht sein Schneefräulein, ich war lediglich eine Gespielin für eine Nacht. Und jetzt lasst mich bitte weiterfahren.“
Die Amme zögerte, doch dann trat sie einen Schritt zurück. Die Kutsche fuhr an und passierte das Tor und ließ Walraven hinter sich zurück.
25
Greystone, Januar
Eloïse saß in einer Ecke der großen Halle und sah zu, wie die Tische sich langsam füllten. Die Studenten kamen aus den Winterferien zurück, und Joanna begrüßte die eintreffenden jungen Männer und Frauen und ermunterte sie, sich nach der Reise durch die kalte Winterlandschaft mit heißem Würzwein aufzuwärmen. Eloïse war froh, dass am nächsten Tag der Unterricht wieder beginnen und sie ablenken würde. Fast zwei Wochen waren seit ihrer Rückkehr aus Walraven vergangen, doch sie hatte ihre innere Ruhe noch nicht wiedergefunden. Joanna und Ian hatten bemerkt, wie aufgewühlt sie war, und ihr zu verstehen gegeben, jederzeit mit ihnen reden zu können. Doch sie war nicht auf das Gesprächsangebot eingegangen, stattdessen hatte sie stundenlang auf ihrem Bett gelegen, geweint und über ihren Aufenthalt in Walraven nachgedacht.
Der Anfang war wie ein Traum gewesen: ihr wunderschönes Kleid, das prunkvolle Fest und das fast schon verschwenderische Essen. Aber vor allem Victorian. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, die einzige Frau auf der Welt zu sein, die er wirklich begehrte. Und für einige glückliche Stunden hatte sie geglaubt, er liebe sie und würde am Morgen um ihre Hand anhalten. Doch dann war sie aufgewacht, und Victorian hatte sie brutal in die Wirklichkeit zurückgeholt. Ihr vermeintliches Glück war zerplatzt wie eine Seifenblase. Er hatte sie in seinem Bett gewollt, nichts weiter. Und als wäre das nicht schlimm genug, hielt er sie außerdem für eine habgierige, berechnende Person – für jemanden, der genauso eiskalt war wie er selbst. Es war schmerzlich zu erkennen, dass sie sich solange von ihm hatte täuschen lassen. Die anderen hatten sie immer wieder vor ihm gewarnt. Aber nein, sie hatte es besser gewusst und ihnen keinen Glauben geschenkt. Raine und Harper, die gerade durch den Saal auf sie zukamen, würden sich totlachen, sollten sie jemals von den Ereignissen in Walraven erfahren!
„Hey, Eloïse, rück zur Seite und mach Platz für uns!“ Raine und Harper zogen ihre dicken Umhänge aus und ließen sich neben ihr auf die Bank fallen.
„Furchtbare Reise bei der Kälte!“ Harper rieb sich die Hände und griff nach dem Krug mit dem warmen Wein.
„Oh, Seine Gnaden ist auch wieder da“, sagte Raine und sah zur Eingangstür. „Hat er die Nachprüfung heute Morgen bestanden, Eloïse?“
„Was?“ Eloïse schreckte aus ihren Gedanken auf. „Unmöglich, er kann nicht da sein!“
Raine zuckte mit den Schultern und hielt Harper seinen Becher hin, damit er ihm Wein einschenke. „Dann ist es wohl Victorians Geist, der gerade mit Ian durch die Halle läuft.“
Eloïse beugte sich vor und erstarrte. In der gegenüberliegenden Ecke nahm tatsächlich Victorian neben Ian an einem Tisch Platz. „Entschuldigt mich“, sagte sie und stand hastig auf. „Ich muss meine Sachen für morgen vorbereiten.“
„Hey, Eloïse,
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