Das rote Band
nicht Geliebte“ , erwiderte er, während er immer noch die Wand anstarrte, „dieses Wort hört sich billig an.“
„Dann passt es ja.“
„Eloïse, bitte.“ Er drehte sich zu ihr um, und sie erschrak über seinen gequälten Gesichtsausdruck.
„Ich weiß nicht“, sagte sie, „auf welchen Gefühlen du und Amira eure Ehe gründen werdet. Aber Respekt sollte auf jeden Fall dabei sein, deshalb können wir hier keine Menage à trois veranstalten. Das wäre keine gute Voraussetzung für eure Verbindung.“
„Eloïse, ich will ... ich möchte deine Freundschaft nicht verlieren.“
„Aber das hast du bereits“, sagte sie leise und blickte ihn an.
Er erwiderte nichts, doch in seinen Augen lag ein stummes Flehen.
Schließlich nickte Eloïse. „In Ordnung“, gab sie nach und wies auf ihren Tisch, „im Unterricht können wir es beim Alten belassen.“
„Danke, das bedeutet mir viel“, erwiderte er mit rauer Stimme und schob ihren Tisch wieder neben den seinen.
Eloïse seufzte. „Aber ich will nachher keine Beschwerden hören!“
„Lady Eloïse, wartet!“ Amiras samtene Stimme erklang hinter ihr, als Eloïse die große Halle nach dem Mittagessen verlassen wollte. Eloïse blieb stehen und drehte sich um. Amira saß, umgeben von allen Studentinnen, neben dem Kamin und winkte sie zu sich.
Neugierig trat Eloïse auf sie zu, und Amira lächelte sie an. „Ich habe gerade den anderen Frauen den Schmuck gezeigt, den Victorian mir zur Verlobung geschenkt hat.“ Sie streckte Eloïse ihre Hand entgegen, die ein großer Saphirring schmückte. „So strahlend wie meine Augen, hat Victorian gesagt.“
„Wundervoll“, sagte Rose, wobei es ihr nicht gelang, den Neid in ihrer Stimme zu unterdrücken.
„Ja“, erwiderte Amira, „zu den Menschen, die ihm etwas bedeuten, ist Victorian äußerst großzügig!“ Sie bewegte ihre Hand, und im Schein des Kaminfeuers funkelte der Edelstein an ihrem Finger in unzähligen Blautönen.
Die Studentinnen brachen in Begeisterungsrufe aus, doch Eloïse schwieg. Sie dachte an die Muschelkette, die Victorian ihr im Herbst aus White Sands mitgebracht hatte. Eine Muschel von Tausenden, aufgelesen am Strand und an einer unscheinbaren Silberkette befestigt. Sie hatte sich damals sehr darüber gefreut, aber jetzt verstand sie, wie nichtssagend dieses Geschenk eigentlich gewesen war.
„Wie ist Victorian denn so, Amira?“, fragte Rose neugierig. „Er wirkt immer sehr distanziert.“
„Nicht, wenn man ihn näher kennt“, widersprach Amira. „Er ist ohne jeden Tadel: charmant, humorvoll und sehr wohlhabend. Ich könnte mir keinen besseren Ehemann vorstellen.“
„Ihr müsst wirklich sehr glücklich sein, Amira“, sagte Maralda.
„Das bin ich“, erwiderte Amira. „Victorian liest mir jeden Wunsch von den Augen ab.“
Onora sah Amira spöttisch an. „Das klingt geradezu unheimlich“, bemerkte sie.
Eloïse horchte auf. Sie hatte Onora nie leiden können, doch in diesem Moment war sie ihr fast sympathisch.
„Victorian ist ein vollkommener Mann ohne jeden Fehler“, beharrte Amira.
„Tatsächlich?“ Die Ironie in Onoras Stimme war unüberhörbar.
„Nun, eine kleine Schwäche hat er schon“, gab Amira schließlich zu. „Aber welcher Mann hat die nicht?“
Ihre Zuhörerinnen kamen einen Schritt näher.
„Welche denn?“, fragte Rose ungeduldig.
„Nun ja“, antwortete Amira, „gelegentlich holt er sich Frauen ins Bett.“
„Oh! Ihr meint andere Ladies?“
Amira senkte den Blick. „Nein. Victorian bevorzugt den derberen Typ. Grobe, ungebildete Frauenzimmer, bei denen von vornherein klar ist, dass sie keine Ansprüche auf ihn erheben können.“ Sie sah Eloïse an. „Diese Frauen bedeuten ihm nichts. Soll er sich ruhig die Hörner bei ihnen abstoßen. Nach unserer Hochzeit hat sich das erledigt.“
Eloïse erstarrte. Das war mehr als deutlich gewesen. Amira wusste von ihr und Victorian! Aber woher nur? Hatte er es ihr doch verraten und gemeinsam mit Amira über sie und ihre naiven Hoffnungen gelacht? Vorhin im Unterrichtssaal hatte er gesagt, Geliebte sei das falsche Wort. Natürlich, denn es bedeutete eine längerfristige Beziehung. Aber so, wie Amira es ihr zu verstehen gegeben hatte, war Victorian nur an einmaliger, schneller Befriedigung gelegen! Bitterkeit stieg in Eloïse auf, doch wenigstens wusste sie jetzt, wer die anderen Frauen gewesen waren, die so dankbar sein Geld angenommen hatten – Dienstmädchen und Mägde. Und mehr schien sie
Weitere Kostenlose Bücher