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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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seid, kam mittags ein Bote aus Coldhill“, antwortete sie rasch. „Eloïses Vater hat sich ein Bein gebrochen, und sie können somit die Aussaat nicht durchführen.“ Sie legte ihre Finger auf seine Hand. „Victorian, die Familie wird den Hof aufgeben.“
    Entsetzt sah er Lady Joanna an. „Warum hat Eloïse mich nicht sofort holen lassen? Ich habe versprochen, ihr mit Coldhill zu helfen.“
    „Eloïse wünschte nicht, dass Ihr etwas davon erfahrt. Sie ist vor ein paar Tagen nach Coldhill gereist, um ihre Familie dort abzuholen. Ian begleitet sie.“
    Er sprang auf. „Dann reite ich ihnen nach.“ Seine Trägheit war vollkommen verschwunden, und das Blut jagte durch seinen Körper.
    „Victorian, sie haben Coldhill längst verlassen und werden spätestens morgen am Königshof ankommen, um mit Theodoric das weitere Schicksal der Familie zu besprechen“, erklärte sie. „Heute Morgen hat mich Ians Nachricht erreicht.“
    „Dann folge ich ihnen zum Königshof“, erklärte er entschlossen.
    Lady Joanna schüttelte den Kopf. „Bis Ihr dort ankommt, ist die Sache längst entschieden. Hört, Ihr wisst noch gar nicht, dass Ian jetzt ein ...“
    Victorian ließ sie nicht ausreden. Im Angesicht dieser Ereignisse wurde ihm endlich klar, was in seinem Leben wirklich von Bedeutung war – und es waren nicht Pflichtgefühl oder die Erwartungen seines Vaters! „Mylady, ich werde nicht in Greystone sitzen und Prüfungen ablegen, während Eloïse mit irgendeinem Greis verheiratet wird.“ Sein Entschluss war getroffen – Monate zu spät, aber, wenn er sich beeilte, käme er möglicherweise noch rechtzeitig! Er riss seinen Umhang vom Haken und stürmte aus dem Zimmer.
    Lady Joanna lief ihm hinterher. „Victorian, Ihr habt einen Brief von Eurem Vater erhalten!“, rief sie. „Wollt Ihr ihn nicht zuerst öffnen?“
    „Nein, will ich nicht!“ Das Einzige, was er wollte, war verhindern, dass Eloïse für den Rest ihres Lebens unglücklich war – und er auch. Victorian sprang die Treppe hinunter und warf dem Wirt einige Münzen für ein Pferd auf den Tresen. Dann rannte er aus dem Haus, Richtung Stall, um zum ersten Mal in seinem Leben den Wünschen seines Herzens zu folgen.
     
    Vor den Mauern von Clainfield zügelte Victorian sein Pferd. Er war scharf geritten, und das Tier brauchte dringend Ruhe. Die Abenddämmerung setzte bereits ein, und er würde in dem kleinen Dorf im Schatten der mächtigen Festung des Earls of Clainfield übernachten. Natürlich würde ihn der Earl nur zu gerne als seinen Gast willkommen heißen, doch er hatte kein Verlangen nach Gesellschaft. Jetzt, da seine Entscheidung gefallen war, drängte es ihn, sie umzusetzen. Warum war er nicht schon ein paar Tage früher zu dieser Erkenntnis gekommen? Weil Amiras Verlust ihn sich in Selbstmitleid suhlen und von Zweifeln hatte zerfleischen lassen. Warum sie ihn verlassen hatte, konnte er sich immer noch nicht erklären, aber es war egal. Sie mochte ihre Gründe gehabt haben, und ihr Weggang ermöglichte es ihm, seinen Fehler wiedergutzumachen.
    Bei Sonnenaufgang machte sich Victorian wieder auf den Weg entlang des Flusses nach Westen. Kaum hatte er Clainfield hinter sich gelassen, schlug er dem Pferd seine Fersen in die Flanken und galoppierte los. Wenn er ohne Pause unterwegs war, würde er die Königsburg vor Einbruch der Nacht erreichen und Eloïse dort noch antreffen.
     
    Die Sonne stand tief, als Victorian am Hof des Königs ankam. Die roten Steine der großen, wehrhaften Burganlage leuchteten golden im Abendrot. Die Flaggen auf den beiden Türmen des Palasts waren gehisst und zeigten die Anwesenheit Theodorics. Langsam ritt er durch die Straßen der Stadt, die um die Burg gewachsen war, auf das große Eingangstor in der Mauer zu. Die diensthabenden Wachen erkannten ihn und ließen ihn ohne weitere Fragen passieren.
    Im Innenhof glitt Victorian, steif von dem langen Ritt, aus dem Sattel und drückte die Zügel des Tieres einem vorbeilaufenden Burschen in die Hand. Eilig lief er auf das innere Burgtor zu. Auch hier gewährte man ihm sofort Einlass. Ratlos stand er nun im zweiten Innenhof. Wo würde er Eloïse am wahrscheinlichsten finden? Im Gästehaus, im Thronsaal oder hatte sich der König mit der Familie in eines der Besprechungszimmer zurückgezogen?
    Während er noch darüber nachdachte, hörte er ein vertrautes Lachen hinter sich und drehte sich um. „Amira!“
    Seine ehemalige Verlobte trat näher. „Überrascht, mich hier zu sehen,

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