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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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Eloïse die Burgherrin genauer. Ihre Augen strahlten, wenn sie Ian ansah, und ihr ganzes Verhalten zeigte, wie sehr sie ihm zugetan war. Die beiden gingen vollkommen vertraut miteinander um, erkannte Eloïse nach einer Weile erstaunt. Und das deutete nicht auf eine Schwärmerei hin, sondern – sie schnappte nach Luft – auf Liebe! Sie konnte es kaum fassen, aber der Fechtmeister und Lady Joanna mussten ein heimliches Paar sein!
    Eloïse rieb sich über das Gesicht. Sollte diese Wahrheit jemals ans Licht kommen, es wäre ein furchtbarer Skandal! Lady Joanna bliebe wohl nur noch der Weg ins Kloster, und Ian … Was passierte mit einem Geächteten, der sich an einer adligen Dame vergriff? Eloïse wollte sich lieber nicht vorstellen, welche Strafen ihn erwarten würden. Aber bei ihr war das Geheimnis der beiden auf jeden Fall sicher! Sie selbst störte die Verbindung der zwei nicht, auf Etikette hatte sie noch nie Wert gelegt – ganz davon abgesehen, dass sie sie selbst gerade brach. Von ihr aus könnte Ian die Burgherrin sofort heiraten. Doch vermutlich mussten sie ihre Gefühle solange verbergen, bis der König Ian wieder in den Adelsstand erhob. Diese Zeit musste eine harte und gefährliche Probe für die beiden sein.
    Eloïse runzelte die Stirn. Ob sie selbst jemals einen Mann finden würde, der bereit wäre, sein Leben für sie zu riskieren? Und könnte sie so stark sein wie Lady Joanna und alles für ihre Liebe aufs Spiel setzen? Sie seufzte. Diese Fragen waren müßig, denn in dem Leben, das ihr vorherbestimmt war, gab es keinen Platz für einen Mann.
    Die ersten Studentinnen betraten die Waffenhalle, und Eloïse erhob sich. Sie winkte Ian und Lady Joanna zum Abschied zu und machte sich auf den Weg zurück zur Burg. Vor dem Burgportal blieb sie unschlüssig stehen. Zum Schlafengehen war es viel zu früh, und so schlug sie den Weg zur großen Halle ein. Bis jetzt hatte sie jeden Abend in der Waffenhalle verbracht und wusste gar nicht, was die anderen Studenten abends unternahmen. Die Tür der Halle stand offen, und Eloïse sah neugierig hinein.
    Die wenigen Studentinnen, die nicht am Damentraining teilnahmen, saßen an einem Tisch beisammen und stickten. Lord Tennison, der Agrarkundelehrer, leistete ihnen Gesellschaft und erzählte aus seinen Jugendjahren – ein Bericht, dem die Damen mehr oder weniger aufmerksam lauschten. Die Studenten saßen an zwei Tischen in der Nähe. Harper hatte Raine zu einer Partie Schach herausgefordert, und ein paar der jungen Männer standen daneben und bedachten die beiden Spieler mit guten Ratschlägen. Die restlichen Studenten hatten sich zum Würfeln zusammengefunden oder unterhielten sich. Nur einer saß abseits, alleine mit einem Becher Wein in der Hand, den er gedankenverloren anstarrte.
    Eloïse schüttelte den Kopf. Victorian schien sich in der Rolle des Außenseiters sehr zu gefallen. Sie ging zum Kamin, nahm ein zweites Schachbrett und eine Kiste mit Figuren vom Sockel und setzte sich ihm gegenüber auf die Bank.
    „Ich kann mich nicht erinnern, um deine Gesellschaft gebeten zu haben“, sagte Victorian zur Begrüßung.
    Eloïse überhörte seinen Einwand. „Lust auf eine Partie Schach?“
    „Mit dir?“ Er sah sie skeptisch an. „Beim Schach muss man sich konzentrieren, was bei deinem ständigen Geplapper unmöglich ist.“
    Sie schob das Spielbrett beiseite und startete einen neuen Versuch. „Es war nett von dir, gestern Abend in der Waffenhalle vorbeizukommen, um nach mir zu sehen.“
    „Das geschah aus reinem Eigennutz“, widersprach Victorian. „Ich ertrage es nicht, neben jemandem zu sitzen, der ständig gähnt.“
    „Gut.“ Eloïse nickte knapp. „Ich habe es verstanden, ich lasse dich in Ruhe.“ Sie wollte aufstehen, doch Victorian bedeutete ihr, sitzen zu bleiben.
    Stattdessen erhob er sich, ging zum Nachbartisch, auf dem ein Weinkrug stand, und kehrte mit einem gefüllten Becher zurück. Er stellte das Gefäß vor ihr ab und nahm wieder Platz. „Warum hattest du vorgestern Tränen in den Augen, als du über die Versorgung und Landflucht der Bauern erzählt hast?“, verlangte er zu wissen.
    Dieser verdammte Kerl hatte es gemerkt! Eloïse versuchte, so unberührt wie möglich zu antworten. „Weil es uns in Coldhill so ergangen ist.“
    „Und das bedeutet genau …?“ Auffordernd sah er sie an.
    „Es bedeutet, dass wir vor dem Ruin stehen. Niemand benutzt mehr den Coldhill-Pass, um ins nördliche Königreich zu gelangen. Die Ernte war miserabel,

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