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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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Prüfungen mit Bravour bestehen.“
    „Mit wem sollte ich am besten kämpfen?“, fragte Olric neugierig.
    „Mit Nathaniel. Ihr seid beide gleich stark, aber Eure Statur ist unterschiedlich. Nathaniel ist ein gutes Stück kleiner als Ihr, Olric. Auf engem Raum behindert Ihr Euch so gegenseitig nicht“, erklärte Ian. „Prosper und Alan hingegen dürften niemals gemeinsam fechten, obwohl sie größenmäßig ebenfalls gut zusammenpassen: Sie sind beide Linkshänder und vernachlässigen die Deckung ihrer rechten Seite. Das würden ihre Gegner bald herausfinden und ausnutzen.“
    Raine schüttelte den Kopf. „Woher kennst du uns so genau, Ian? Wir haben doch kaum trainiert.“
    Ian lächelte. „Ich habe am ersten Tag mit jedem von Euch gefochten.“
    „Das waren nur ein paar Schläge“, erwiderte Harper verwundert.
    „Es genügte, um mir ein Bild von den Fähigkeiten jedes Einzelnen zu machen.“ Ians Tonfall wurde scharf. „Der Earl of Greystone hat mich als Fechtmeister eingestellt, weil ich meine Arbeit verstehe und nicht, weil er ein Werk der Barmherzigkeit an einem Ehrlosen vollbringen wollte.“ Sein Blick streifte Eloïse. „Oder aufgrund der Freundschaft zu meinem Bruder Ronen.“
    Betreten sahen alle zu Boden. Schließlich hob Olric den Kopf. „Ian, ich muss einfach die Wahrheit wissen: Warum hat dein Vater dich geächtet?“
    „Weil ich Lord Greystones Einladung angenommen habe, die Akademie zu besuchen.“ Ian bemerkte die verständnislosen Blicke seiner Studenten. „Mein Vater hasst mich seit dem Tag meiner Geburt, weil meine Mutter dabei verstorben ist. Ich wuchs im Dorf neben unserer Burg auf und arbeitete auf dem Feld wie ein Bauer. Hätte meine Schwester sich nicht darum gekümmert, ich könnte weder lesen noch schreiben. Fechten lernte ich von meinem Bruder, von unserem Burgschmied sowie von einem ehemaligen Söldner. Da mein Vater jedoch zu der Überzeugung kam, ich nähme mein Schicksal zu leicht, verbannte er mich ins Tagelöhnerhaus. Zwar eignete ich mir dort viele unehrenhafte Kampftricks an, trotzdem wäre es über kurz oder lang mein Ende gewesen, wenn Lord Greystones Angebot nicht dazwischen gekommen wäre. Mein Vater drohte mir mit Ächtung, sollte ich dem Earl folgen.“ Er lächelte. „Und jetzt bin ich hier und ehrlos. Wie man sieht, lag Victorian mit seiner Einschätzung, ich würde wie ein Söldner und Strauchdieb kämpfen richtig.“
    Davin of Fairburn, ein zurückhaltender junger Mann, meldete sich zu Wort. „Dann hat dein Vater dich letztendlich nur geächtet, um dich einmal mehr für den Tod deiner Mutter zu bestrafen?“
    „So kann man es sehen“, erwiderte Ian.
    Empört schüttelte der sonst so ruhige Student den Kopf. „Meine Mutter starb bei der Geburt meiner Schwester Olivia. Doch niemand aus unserer Familie würde das Mädchen deswegen zur Verantwortung ziehen. Im Gegenteil, jeder von uns vergöttert sie, weil Olivia das Letzte ist, was Mutter uns gab.“
    „Schade, dass ich nicht in Eure Familie hineingeboren wurde, Davin“, sagte Ian. „Dann wäre mein Leben mit Sicherheit anders verlaufen.“
    Auf Ians Worten hin herrschte Schweigen in der Waffenhalle.
    Schließlich durchbrach Eloïse die Stille. Sie hatte seit geraumer Zeit das Gefühl, Ian etwas Gutes tun zu müssen, und nun wusste sie endlich wie! „Ian, ich darf dich nicht in der respektvollen Form ansprechen wie die anderen Lehrer, weil du ehrlos bist. Aber ich darf dich bitten, mich zu duzen – als Zeichen meiner Anerkennung für dich!“
    Ian lächelte. „Ich nehme dein Angebot gerne an, Korin.“
    Harper sprang auf. „Davin und Korin haben recht! Du bist vollkommen schuldlos an deiner Ächtung. Sprich mich ebenfalls mit du an.“
    „Mich auch!“, rief es vielstimmig von der Tribüne.
    „Diese Idee hätte mir wirklich früher kommen können“, ärgerte sich Eloïse.
    „Früher?“ Raine blickte sie verwundert an. „Wir kennen Ian doch erst seit sechs Tagen.“
    „Für mich fühlt es sich an wie sechs Jahre, schließlich hatte ich das doppelte Trainingspensum“, erklärte Eloïse.
    Ian lachte. „Verstehe ich es richtig, dass ich Euch alle nun formlos anreden darf?“
    „Nein!“ Victorian stand auf und verließ die Waffenhalle.
    „Ignorier ihn, Ian“, empfahl Harper. „Das machen wir auch so.“
    „Den Rat werde ich beherzigen“, erwiderte Ian. Trotz Victorians Weggang hatte er gute Laune. Das Eis zwischen ihm und den Studenten schien gebrochen, wenn auch anders, als er geplant

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