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Das rote Band

Das rote Band

Titel: Das rote Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dana Graham
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wir haben kaum mehr Rücklagen, aber das macht nichts, weil wir auch keine Bauern mehr haben! Und deshalb ...“
    „... steht deine Familie selbst auf dem Feld“, vollendete Victorian ihren Satz. „Und du bist in Greystone in der Hoffnung, von Lord Tennison etwas zu erfahren, was euch rettet.“
    „Richtig“, gab sie zu.
    „Nun, damit erklären sich deine magere Figur, deine geflickten Kleider und deine Leidenschaft für Hafer.“ Zufrieden über seine Schlussfolgerung verschränkte er die Arme vor der Brust.
    Eloïse ließ den Kopf hängen. Hatte sie von ihm tatsächlich so etwas wie Anteilnahme erhofft? „Ich gehe jetzt zu Bett“, sagte sie leise und stand auf.
    Victorian hielt sie nicht zurück.
     
    Im Unterricht am nächsten Morgen verhielt sich Victorian ihr gegenüber wortkarg, aber nicht unhöflich. Manchmal hatte Eloïse das Gefühl, er sehe sie nachdenklich an – mit einem Gesichtsausdruck, so, als könne er sich nicht entscheiden, ihr etwas Wichtiges mitzuteilen.
    „Hast du noch andere Geschwister außer deiner Schwester?“, fragte er sie auf ihrem Weg zum Mittagessen.
    „Ja.“ Eloïse zögerte. Es war sicherlich am besten, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. „Einen Bruder.“
    Er nickte und schwieg. Sie setzten sich zu Prosper, Leroy und Finley an den Tisch, und Eloïse beteiligte sich an deren Unterhaltung, während Victorian kaum den Blick von seinem Teller hob.
    Am Nachmittag versammelten sich die Studenten wieder in der Waffenhalle zum Fechttraining bei Ian. Eloïse war gespannt, ob Olric nach dem Eklat am Vortag kommen würde – und was dann passieren würde. Bis jetzt war Olric noch nicht erschienen.
    Ian kam aus der Waffenkammer und begann, Holzschwerter an die auf der Tribüne sitzenden Studenten zu verteilen. „Ihr werdet heute ...“
    Die Tür der Waffenhalle flog auf, und Olric trat ein. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck schritt er auf Ian zu, und Eloïse hielt die Luft an. Würde er Ian zum Duell fordern? Kurz vor dem Fechtmeister blieb Olric stehen. Doch er zog nicht seine Waffe, sondern neigte den Kopf.
    „Ian, ich entschuldige mich für mein gestriges Verhalten“, sagte Olric laut. „Ich bin ein Hitzkopf, aber nicht uneinsichtig. Das wirst du bald merken, wenn du mich besser kennst.“ Er lächelte. „Zum einen wollte ich dich um ein angemessenes Schwert bitten, so, wie du es mir empfohlen hast.“ Er blickte auf Ians Hände. „Vielleicht nicht gerade eines aus Holz … Und dann muss ich zugeben, dass du gestern recht hattest: Meine Fähigkeiten als Schwertkämpfer sind begrenzt, doch niemand hört gerne die Wahrheit.“
    „Schwächen einzugestehen und anzunehmen, fällt keinem leicht, Olric“, antwortete Ian freundlich. „Aber es ist besser, ich mache Euch darauf aufmerksam als Eure Feinde. Denn dann seid Ihr möglicherweise tot.“ Er legte die restlichen Holzschwerter auf der Tribüne ab und wandte sich der gesamten Gruppe zu, die Olrics Worten gebannt gelauscht hatten. „Ich weiß, Euch geht es in erster Linie um das Bestehen der Prüfung“, fuhr Ian fort. „Mir natürlich auch, aber vor allem habe ich Euer zukünftiges Leben und Eure Sicherheit im Blick. Wenn Ihr Euch später eine Eskorte für eine Reise zusammenstellt, wählt die Ritter, die Euch begleiten werden, mit Bedacht aus: Ein guter Waffengefährte muss Eure Fähigkeiten ergänzen und sollte unter keinen Umständen das gleiche Temperament besitzen wie Ihr selbst.“
    „Wie meinst du das, Ian?“, fragte Crispin.
    „Nun, ich würde im Ernstfall niemals Harper und Raine zusammen gegen Feinde kämpfen lassen“, antwortete Ian. „Sie sind sich zu ähnlich. Beide sind ungestüm, unterschätzen Gefahren und kennen das Wort Rückzug nur vom Hörensagen.“
    Raine grinste. „Wen würdest du uns als Partner zur Seite stellen, Ian?“
    „Leroy und Finley.“
    „Was?“ Harper starrte ihn an. „Die beiden können nichts.“
    „Falsch“, erwiderte Ian. „Beide sind schwache Kämpfer und haben gerade deshalb eine gute Defensivstrategie entwickelt und gelernt, ihre Gegner realistisch einzuschätzen. Natürlich gewinnt man mit reiner Verteidigungstaktik kein Duell. Aber wenn Finley Euch auf dem Schlachtfeld zurückruft, Harper, hört auf ihn! Ich werde Euch in Zukunft viel in solchen gegensätzlichen Zweiergruppen gegeneinander antreten lassen, denn der Kampfstil Eures Partners wird mit der Zeit auf Euch abfärben: Harper wird besonnener, und Finley mutiger werden. Und beide werden die

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