Das rote Band
als Ian es vermutet hatte, trotzdem war sie dankbar für die Salbe und die Verbände. Sie erhob sich vom Stuhl, legte sich auf ihr Bett und kuschelte sich in die Decke ein. Für einen Moment die Augen zu schließen, würde ihr guttun ...
Es war bereits spät am Nachmittag, als Eloïse wieder erwachte. Sie setzte sich im Bett auf, doch es fiel ihr schwer, zu sich zu kommen. „Vielleicht hilft ein Spaziergang an der frischen Luft“, sagte sie zu sich selbst und angelte nach ihren Stiefeln. Sie hatte das Burggelände noch kaum erkundet, und das war eine ideale Gelegenheit.
Kurze Zeit später stand Eloïse vor der Waffenhalle. Links führte der Weg zum Pferdestall, der Hauptweg lief weiter um die Burg herum. Eloïse beschloss, ihm zu folgen. Sie kam an einem kleinen Gebäude vorbei, von dem sie annahm, dass es das Kräuterhaus war, über das Crispin gesprochen hatten. Als sie die Rückseite der Burg erreichte, fand sich Eloïse in dem Rosengarten wieder, den man von der großen Halle aus sah. In der Mitte wuchs eine alte Eiche, deren Äste bis zum Balkon des Festsaals im Obergeschoss reichten, und steinerne Bänke luden zum Verweilen ein. Eloïse setzte ihren Rundgang fort und entdeckte weitere Gebäude: die zwei Wohnhäuser für Dienerschaft und Lehrer, eine Kapelle und mehrere Wirtschaftsgebäude.
In einem Häuschen mit großen Fensteröffnungen, das nur aus einem Raum zu bestehen schien, war die Tür weit geöffnet, und jemand lief darin hin und her. Neugierig näherte sie sich und staunte nicht schlecht, als sie erkannte, wer sich in dem Haus zu schaffen machte. „Hallo, Victorian!“, rief sie. „Was tust du denn hier?“
Er blieb stehen und zog die Augenbrauen zusammen. In seinen Händen hielt er eine Holzkiste. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“
Eloïse ließ sich von seinem barschen Ton nicht abschrecken. Sie trat über die Schwelle und sah sich im Haus um: Auf mehreren Tischen standen Tontöpfe, die mit Erde gefüllt waren. Kleine Säcke lagen dazwischen, und überall waren beschriebene Blätter verstreut. „Ist das ein Gewächshaus?“ Sie ging einige Schritte auf die Töpfe zu.
„Habe ich dich hereingebeten?“
Eloïse ließ sich nicht beirren, nahm eines der Säckchen und griff hinein. Winzige Körner rannen durch ihre Finger. „Saatgut? Warst du deshalb fort, um es zu kaufen?“
Victorian stellte die Kiste auf dem Boden ab. „Wo ich war, hat dich nicht zu interessieren.“
Sie betrachtete die Samen auf ihrer Handfläche. „Was machst du damit?“
„Das verstehst du sowieso nicht.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Und jetzt raus! Denn, falls du es immer noch nicht gemerkt haben solltest, du störst mich!“
Wütend hob Eloïse den Kopf. „Und falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Dein blasiertes Gehabe geht allen auf die Nerven!“ Sie warf das Säckchen zurück auf den Tisch. „Im Unterrichtssaal bestehst du darauf, dass ich neben dir sitze, und, wenn ich jetzt mit dir sprechen möchte, wirfst du mich hinaus wie einen alten Hund! Du kannst die Menschen nicht einfach herumschubsen, wie es dir beliebt, und wenn du tausendmal der Sohn eines Dukes bist!“
„Nein?“ Victorian zog eine Augenbraue hoch.
„Nein! Und du brauchst gar nicht so pikiert zu schauen!“, rief sie. „Du behandelst alle von oben herab, aber gerade ein Mann deines Ranges sollte über die Fehler seiner Mitmenschen großzügig hinwegsehen können und sie nicht ständig darauf hinweisen oder beleidigen!“ Sie sah ihn böse an, doch er reagierte nicht, im Gegenteil, er schien völlig unbewegt von ihren Worten. Eloïse schnaubte. Jegliches Mitgefühl für ihn war verschwendet gewesen! „Und wegen dir hätte ich mich fast verprügeln lassen!“, murmelte sie und wandte sich zur Tür.
„Wie bitte?“ Victorian packte ihren Arm und hielt sie zurück. Sein Griff war fest, aber nicht grob.
„Ich dachte, niemand hätte dir wegen des Waldlaufs gestern Bescheid gesagt und wollte dich holen, aber Harper hat mich nicht gehen lassen“, erklärte sie.
Sein Blick fiel auf die Kratzer an ihren Händen. „Hat Harper dir wehgetan?“, fragte er in einer Mischung aus Besorgnis und Verärgerung.
„Nein, das war meine eigene Dummheit.“
Victorian ließ ihren Arm los. „Wenn ich so ein Ekel bin, wie du es sagst, warum kommst du immer wieder zu mir?“
Eloïse seufzte. „Weil ich dich auch anders erlebt habe und glaube, du könntest sehr nett sein, wenn du nur wolltest.“
Er fixierte sie
Weitere Kostenlose Bücher