Das rote Band
stehlen!“, beharrte der eine.
„Ist ein Schaden entstanden?“, fragte Victorian.
„Nein“, antwortete der Soldat.
„Ich übernehme die Verantwortung für diesen Geächteten“, erklärte Victorian. „Oder zweifelt ihr an meinen Worten?“
„Nein, Mylord. Aber seine Kleidung …?“
„Ein Geschenk seines Herrn, ebenso wie sein Schwert. Seht es euch an, es trägt das Wappen von Greystone.“
Die Stadtwachen schienen überzeugt, und einer der beiden reichte Victorian Ians Schwert. „Bringt ihn am besten zum Earl nach Greystone zurück, Lord Walraven. Und ihr“, er blickte zu der Menge der Schaulustigen, „geht eurer Wege.“ Er nickte Victorian zu und verließ mit dem anderen Wachsoldaten den Platz.
Victorian trat hinter Ian, zog die Schlinge von dessen Hals und löste die Fesseln um seine Handgelenke.
„Danke, Victorian“, sagte Ian heiser und rieb sich über die gerötete Haut. „Das war nicht ohne Risiko für Euch.“
„Jeder ist es wert, dass man ihm hilft – oder nicht, Ian?“
„Touché.“ Ian räusperte sich, um das unangenehme Kratzen in der Kehle zu vertreiben.
„Was ist mit deiner Geldbörse?“, erkundigte sich Victorian. „Adcoque sagte vorhin, du hättest keine. Hast du sie verloren?“
Ian schüttelte den Kopf. „Ich besitze keine. Warum auch?“ Er hustete. „Ich habe kein Geld.“ Es war ihm unangenehm, dies ausgerechnet vor Victorian zugeben zu müssen.
„Ich hoffe, du wolltest die Kette nicht doch stehlen, um sie zu Geld zu machen.“
„Nein“, erwiderte Ian empört. Glaubte Victorian, er wäre ein Dieb? Obwohl das Sprechen schmerzte, erklärte er: „Ich wollte den Händler bitten, den Schmuck bis Riverside zurückzulegen, damit meine Schwester ihn dort kaufen kann.“
Victorian betrachtete ihn nachdenklich. „Wieso besitzt du kein Geld?“, wollte er wissen. „Was ist mit der Entlohnung für deinen Dienst als Fechtmeister?“
Überrascht sah Ian ihn an. Über eine ihm zustehende Entlohnung hatte er noch nie nachgedacht.
Spöttisch verzog Victorian das Gesicht. „Der Earl bezahlt dir nichts? Du solltest mit ihm darüber reden, schon alleine, um solche Vorfälle wie eben zu vermeiden. Wer gute Arbeit leistet, hat auch ein Recht auf guten Lohn.“
„So, Ihr findet meinen Unterricht also doch gut?“, krächzte Ian, dann wurde er ernst. „Warum habt Ihr mir geholfen, Victorian? Ich hätte vermutet, dass gerade Ihr mir einen Aufenthalt in Adcoques Kerker durchaus gönnen würdet, denn da gehöre ich Eurer Meinung nach doch auch hin?“
Der junge Mann schwieg, aber Ian erkannte, dass Victorian einen inneren Kampf mit sich ausfocht. Und schließlich fiel die Maske.
„Ich habe eingegriffen, weil das Verhalten von Adcoque mich angewidert hat und ich gemerkt habe, dass ich mich dir gegenüber genauso schäbig benommen habe wie er. Ich habe dich vom ersten Tag an verurteilt, ohne meine Voreingenommenheit zu überprüfen. Und als ich mir vor einiger Zeit eingestehen musste, dir unrecht getan zu haben, war ich im Gegensatz zu Olric und den anderen zu stolz, meinen Fehler zuzugeben.“ Victorian legte eine Hand auf seine Brust und senkte den Kopf. „Ian, du bist mein Fechtmeister, und es ist eine Ehre für mich, von dir zu lernen.“ Er sah wieder auf. „Und wenn selbst jemand wie Korin den Mut aufbringt, sich zu dir zu bekennen, dann kann ich das als Sohn eines Dukes erst recht, oder?“
„Ich danke Euch für Eure Offenheit und Euer Vertrauen“, erwiderte Ian. „Wenn ich könnte, würde ich Euch jetzt zu einem Bier einladen. Verdient hätten wir es uns beide.“
Victorian nickte. „Du hast recht, gegen einen guten Schluck hätte ich auch nichts einzuwenden.“ Er wies auf ein Zelt, in dem Getränke ausgeschenkt wurden. „Ich lade dich ein. Lass uns nach dort drüben gehen.“
„Ich komme gerne mit Euch“, sagte Ian erfreut.
Auf Victorians Gesicht erschien ein gequälter Ausdruck, als wollte er noch etwas sagen, und Ian begriff. „Ich komme gerne mit dir “, wiederholte er.
Erleichtert sah Victorian ihn an, und Ian konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Allmählich verstand er, warum Korin den jungen Walraven so gerne mochte und was er mit dem Januskopf gemeint hatte. „Du kannst ein verdammt netter Kerl sein, Victorian.“
Victorian hob eine Augenbraue. „Das darf sich keinesfalls herumsprechen! Es würde meinen Ruf mehr ruinieren, als mit einem Ehrlosen zusammen gesehen zu werden.“ Er zwinkerte Ian zu.
Ungläubig schüttelte Ian den
Weitere Kostenlose Bücher