Das rote Band
sprangen Kinder ausgelassen herum. Die Soldaten der Stadtwache, erkennbar an den Helmen und Hellebarden, patrouillierten über den Markt und versuchten an diesem Ort prallen Lebens, die Übersicht zu behalten. Köstliche Gerüche nach Schmalzgebäck und gebratenem Fleisch stiegen Ian in die Nase, und Vorfreude machte sich in ihm breit: Es war eine gute Idee gewesen hierherzukommen!
Hinter ihm schwatzten die Studenten und Studentinnen aufgeregt, und Joanna gelang es nicht, sich Gehör zu verschaffen. Ian drehte sich um, steckte Daumen und Zeigefinger in den Mund und stieß einen lauten Pfiff aus.
„Danke“, sagte Joanna in die aufgekommene Stille. „Wir treffen uns alle wieder hier an den Kutschen, wenn die Rathausuhr von Chesmuir vier schlägt.“
Die jungen Männer und Frauen nickten, nur, um sogleich in alle Himmelsrichtungen auseinander zu stürmen.
Ian trat zu Joanna. „Was machen wir beide?“
„Galad hat mich gebeten, ihm neue Schreibfedern mitzubringen. Das sollten wir als Erstes erledigen, bevor wir mit dem Bummeln beginnen.“
Nachdenklich sah Ian sie an. „Würdest du die Federn alleine besorgen? Ich würde mir gerne etwas ansehen, ohne dich.“ Er zwinkerte ihr zu.
„Natürlich. Treffen wir uns um zwölf Uhr, dann haben wir beide genügend Zeit und können anschließend zusammen essen.“
Er nickte und strich leicht über ihren Arm. „Bis später.“
Kurz darauf schlenderte Ian staunend zwischen den Zelten umher auf der Suche nach einem Geschenk für Joanna. Zwar besaß er kein Geld, um etwas zu kaufen, aber Galad hatte ihm gesagt, die meisten Händler würden nach Riverbanks zum dortigen Herbstmarkt weiterziehen, und vielleicht konnte er mit einem Händler eine Vereinbarung treffen, damit Charlotte hinfahren und das Geschenk für ihn dort erwerben könnte.
An einem Schmuckstand blieb Ian stehen und betrachtete die Auslage. Ein Stück fiel ihm sogleich ins Auge: An einer schlichten silbernen Kette hing ein Bernstein in Form eines Tropfens und funkelte in der Farbe von Joannas Augen!
Der aufmerksame Standbesitzer bemerkte sein Interesse. „Ein äußerst geschmackvolles Schmuckstück für Eure Dame, Mylord.“ Er nahm die Kette hoch und hielt sie Ian zur näheren Ansicht entgegen.
Ian griff danach und entblößte dabei das rote Band um sein Handgelenk.
Der Händler reagierte prompt. „Ein Dieb! Wache!“, schrie er und fuchtelte mit der Kette in der Luft. „Ein Ehrloser will mich bestehlen!“
Ian schoss das Blut in den Kopf. Nur weil er ehrlos war, wurde er sofort ein Dieb genannt? „Nein, das ist ein Irrtum“, sagte er so ruhig wie möglich.
„Erklär es den Wachen!“, antwortete der Händler grimmig und zeigte hinter ihn.
Seufzend wandte sich Ian um. Zwei Soldaten der Stadtwache standen dort – und der Viscount of Adcoque, umringt von fünf seiner Ritter. Ian erstarrte. Seine Lage war ernster, als er angenommen hatte.
„Wen haben wir denn da?“, fragte der Viscount in falscher Freundlichkeit. „Einen Geächteten in den Kleidern eines Edelmanns.“
„Ihr wisst sehr genau, wer ich bin!“, erwiderte Ian verärgert. Obwohl er sich wenig Hoffnung darauf machte, fügte er an: „Ihr könntet das Missverständnis aufklären.“
„Ich könnte, aber wie käme ich dazu?“ Adcoque lächelte kalt und trat nahe an Ian heran. „Ganz alleine hier?“, fragte er leise, und Ian spürte den Atem des Viscounts in seinem Gesicht. „Vergnügt sich Jake im Bett mit Lord Lionsbridge?“, sprach Adcoque weiter. „Und Lady Joanna, hat sie sich den nächsten Ehrlosen aus dem Straßengraben geholt?“
Ian zwang sich, nicht den Kopf wegzudrehen, sondern weiter in Adcoques hämisches Gesicht zu sehen. „Ihr vergesst Euch schon wieder, Mylord“, antwortete er kühl.
Adcoque holte aus, und seine Faust traf Ian im Magen. Schmerz durchfuhr Ian, aber es gelang ihm, stehenzubleiben und der Versuchung zu widerstehen, zurückzuschlagen.
„Schade, du wehrst dich nicht“, stellte der Viscount enttäuscht fest. „Das macht das Ganze natürlich komplizierter, aber nicht minder amüsant.“ Er drehte sich zu zweien seiner Ritter um. „Ergreift ihn! Wir nehmen ihn mit.“
Die beiden Männer traten vor, und Ians Körper spannte sich an. Er war bereit zum Kampf, doch das war das Letzte, zu dem er sich hinreißen lassen durfte. Und so ließ er es zu, dass die Ritter seine Oberarme packten und ihn in Adcoques Richtung schoben.
„Mylord“, mischte sich zögernd eine der Stadtwachen ein. „Wir
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