Das rote Band
fest.
„Gehorchst du mir?“, fragte der Viscount.
Ian nickte. Er hatte keine Wahl, sonst würde er ersticken. Adcoque gab den beiden Männern ein Zeichen, die Schlaufe ein Stück aufzuschieben und ihn loszulassen. Ian schnappte nach Luft, als das Band sich lockerte, dann öffnete er die Knöpfe von Wams und Hemd. Kaum war er fertig, zogen die Ritter ihm die Kleidungsstücke von den Schultern und warfen sie achtlos auf die Erde.
„Waffengürtel!“, verlangte Adcoque.
Wütend schleuderte Ian ihm den Gürtel vor die Füße. Wie weit wollte ihn der Viscount noch erniedrigen?
Adcoque grinste. „Ja, jetzt sieht man auf den ersten Blick, dass du ein Ehrloser bist. Außerdem brauchst du im Kerker meiner Burg keine schöne Kleidung“, erklärte er höhnisch. „Bindet ihm die Hände!“, befahl er den Rittern, die sofort Ians Arme hinter seinen Rücken zogen und ein Seil um seine Handgelenke schlangen.
Der Viscount gab einem seiner Männer den Lederriemen und umrundete Ian, der schwer atmend vor ihm kniete. „Ein Letztes fehlt noch: ein kleiner Beweis, den ich Jake schicken kann, damit er glaubt, dass du bei mir bist.“ Er zog sein Schwert, griff Ians Haare und setzte die Klinge oberhalb des Zopfbandes an.
In diesem Moment war Ians Stolz größer als seine Vernunft. Er riss den Kopf zur Seite und der Ritter, der den Ledergurt in der Hand hielt, fluchte. Er zerrte am Strick, und Ian, der sich durch seine gefesselten Hände nicht abfangen konnte, schlug mit einem erstickten Laut am Boden auf. Sein Kopf dröhnte, und Schatten traten vor seine Augen. Jemand versetzte ihm einen Tritt in die Rippen, und stöhnend rollte er auf den Rücken. Ian blinzelte und sah mühsam auf. Adcoque stand über ihm und hielt die Spitze seines Schwertes auf sein Herz gerichtet.
„Schluss jetzt mit den Spielchen!“, zischte der Viscount und bohrte das Metall in Ians Haut.
Ian schloss die Augen. Er hätte weglaufen sollen, als er es noch gekonnt hatte. Wenigstens sah Joanna nicht, wie er halb nackt und hilflos vor den Füßen des Viscounts lag.
„Guten Tag, Mylords“, sagte plötzlich eine Stimme in vertraut arrogantem Tonfall. „Benötigt Ihr Hilfe?“
Ian öffnete die Augen wieder. Er brauchte keinen weiteren Zuschauer und erst recht keinen zusätzlichen Peiniger. „Verschwindet, Victorian!“, röchelte er.
Victorian zog sein Schwert und blickte auf ihn nieder. „Das werde ich. Aber nur mit dir. “
Für einen Augenblick starrte Ian den jungen Mann genauso überrascht an wie Adcoque.
„Misch dich nicht in fremde Angelegenheiten!“, rief Adcoque, ließ von Ian ab und ging auf Victorian zu. „Hau ab, Bürschchen, solange du noch kannst!“ Drohend richtete er sein Schwert auf Victorian, nur, um es sofort auf dem Boden wiederzufinden.
Victorian nutzte die Sprachlosigkeit des Viscounts und seiner Ritter und hieb mit seinem Schwert das Lederband durch, das einer der Männer immer noch in der Hand hielt. Ian sprang auf und lief taumelnd zu Victorian, der ihn stützend am Arm festhielt.
Wütend hob Adcoque seine Waffe auf, und seine Ritter stellten sich im Halbkreis kampfbereit um ihn. „Das wirst du bereuen, Bürschchen“, herrschte er Victorian an.
„Oder Ihr“, erwiderte der junge Student gewohnt emotionslos, „wenn mein Vater, der Duke of Walraven , davon erfährt.“
Adcoque erbleichte. „Du lügst.“
In einer königlichen Geste streckte Victorian dem Viscount seine Hand entgegen, als erwarte er von ihm einen Kniefall mit Handkuss. Fassungslos blickte Adcoque auf den Erbring mit dem Wappen von Walraven an Victorians Finger, der ihn als erstgeborenen Sohn und nächsten Träger des Titels auswies.
„Es ist besser, Ihr geht, Viscount“ , erklärte Victorian.
Adcoque warf einen letzten vernichtenden Blick auf Ian. „Es ist noch nicht vorbei!“, rief er und verschwand in der Menge. Seine Ritter folgten ihm, und nur die beiden Stadtwachen blieben zurück.
Victorian betrachtete die beiden Männer. „Mein Name ist Victorian of Walraven, und neben mir steht Ian, der Fechtmeister der Akademie von Greystone. Der Earl of Greystone wird es nicht gutheißen, wenn sein Fechtmeister grundlos gefangen genommen wird. Und der Stadtvogt auch nicht, wenn er sich für euer Verhalten verantworten muss.“
Die Mienen der Soldaten verrieten Unsicherheit. Zum einen war der Name Walraven in ganz Telamen bekannt, zum anderen hatte es Gerüchte gegeben, der Earl habe einen ehrlosen Fechtmeister eingestellt.
„Aber er wollte
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