Das rote Flugzeug
schlafen können, war ins Zimmer gekommen, um nach der Patientin zu sehen, und, da er bemerkt hatte, daß Elizabeth im Ankleidezimmer war, wieder gegangen, ohne sich bemerkbar zu machen. Oder er hatte etwas trinken wollen und war gekommen, um sich etwas von dem Kognak mitzunehmen. Sie stellte die Tasse mit dem Kaffee auf den kleinen Tisch, nahm die Kognakflasche zur Hand und hielt sie ins Licht der kleinen Lampe. Nein, da hatte sich der Doktor nichts genommen. Die Flasche war ganz voll. Plötzlich lief es ihr eiskalt über den Rücken.
Was, wenn … Rasch trat sie mit der Flasche näher an die Lampe. Die Flüssigkeit reichte fast bis zum unteren Ende des Korkens – ja, hätte der Korken noch so tief im Hals gesteckt wie beim Originalverschluß, hätte die Flüssigkeit ihn wahrscheinlich benetzt. Und doch hatte sie einen Teelöffel voll Kognak aus der Flasche entnommen, und Hetty hatte das vorher auch schon getan.
Das war wirklich merkwürdig. Dr. Knowles hätte doch nicht etwas in die Flasche geschüttet, ohne ihr Bescheid zu sagen? Vielleicht doch? Vielleicht hatte er es nicht für wichtig genug gehalten, um sie deshalb zu stören. Aber vielleicht war der Mann gar nicht Dr. Knowles gewesen!
Wieder spürte sie den kalten Schauer im Rücken. Wenn nun – ja, wenn nun der Mann ein Feind gewesen war? Es schien unmöglich, aber …
Sehr nachdenklich trat sie wieder ans Bett und flößte der Patientin den Kaffee ohne den Kognak ein. Sie dachte daran, Dr. Knowles zu rufen, fürchtete aber, er würde sie für übernervös halten oder für unfähig, die Patientin zu versorgen. Nein, besser, sie wartete bis zum Morgen und erwähnte die Sache dann ganz beiläufig.
Draußen krähte ein Hahn, und als sie den Vorhang an der Fenstertür aufzog, sah sie, daß es hell zu werden begann. Als sie auf die Veranda ging, um die klare, frische Luft zu atmen, hörte sie die Schreie einer Schar Papageien in den Gummibäumen am Bach.
Es war fünf Uhr, als sie Hetty mit Ruth sprechen hörte, der dicken, immer vergnügten australischen Köchin. Hetty war also schon auf und sorgte dafür, daß ihr Vater und Sergeant Cox ein ordentliches Frühstück bekamen. Sie erwartete Dr. Knowles, aber er kam nicht, und beinahe Punkt sechs hörte sie den Wagen in Richtung Emu Lake starten.
Kurz nachdem die beiden Männer abgefahren waren, kam Hetty, um ihr zu melden, daß sie im Frühstückszimmer für sie gedeckt hatte.
»Sie sind bestimmt furchtbar müde«, meinte Hetty auf ihre betuliche Art.
»Danke, Hetty. Ich gehe gleich hinüber«, sagte Elizabeth. »Unsere Patientin schläft noch. Wenn der Doktor kommen sollte, während ich beim Frühstück bin, sagen Sie ihm, wo ich bin.«
Sie aß gerade ihr Rührei mit Schinken, als sie aus der Ferne das Brummen von Flugzeugmotoren hörte. Während das Geräusch allmählich lauter wurde, stand sie auf und ging durch den Flur hinaus zur Ostveranda und von dort weiter zu dem kurzen Stück geteerter Straße.
Silbern im Glanz der aufgehenden Sonne schwebte am Himmel der große Doppeldecker, der zum Fliegerzirkus gehörte. Er hielt direkt auf das Haus zu und flog so niedrig, daß sie deutlich den Kopf eines Mannes sehen konnte und dann eine Hand, die aus dem Fenster gestreckt wurde und ihr zuwinkte. Sie winkte zurück und sah der Maschine nach, bis sie hinter dem Hausdach verschwunden war.
»Captain Loveacre scheint früh gestartet zu sein, Miss Nettlefold«, rief Dr. Knowles von der Veranda. Er trug einen schwarzseidenen Morgenrock mit silbergrauer Paspelierung und rauchte eine Zigarette. »Guten Morgen«, fügte er hinzu.
»Guten Morgen, Doktor!« rief sie zurück.
»Wie geht es der Patientin heute morgen?«
»Sie scheint mir unverändert. Sie haben sich wahrscheinlich gewundert, wo ich war, als Sie hereinschauten.«
»Als ich hereinschaute? Hetty sagte mir, daß Sie beim Frühstück seien.«
Wieder meldete sich bei Elizabeth das ungute Gefühl, das sie in der Nacht überfallen hatte.
»Nein, ich meinte in der Nacht, noch ehe es hell wurde«, entgegnete sie.
Sie war zu ihm auf die Veranda gegangen und bemerkte das Unverständnis in seinem Blick.
»Ich war heute nacht nicht im Zimmer der Patientin«, erklärte er ruhig und doch verwundert. »Sie sind wohl eingeschlafen und haben geträumt.«
»Nein, ich habe nicht geschlafen«, erwiderte sie bestimmt und berichtete ihm dann von dem nächtlichen Besucher, den sie am Nachttisch hatte stehen sehen.
Knowles lachte kurz. »Sie sind also doch
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