Das rote Flugzeug
seinem Füller etwas auf einen Rezeptblock zu kritzeln. Als er fertig war, fuhr er zu sprechen fort. »Ich habe hier eine vorläufige Diätliste aufgestellt. Halten Sie sich streng daran. Vielleicht ändere ich sie später. Da die Patientin jetzt schläft, komme ich bei Tagesanbruch wieder, und im Lauf des Vormittags werde ich sie noch einmal gründlicher untersuchen.«
»Sie lassen sie bei uns?«
»So lange, bis Sie von der Pflege genug haben oder« – er lächelte zum erstenmal – »oder bis ich feststelle, daß Sie glauben, gescheiter zu sein als ich. Nein, im Ernst, ich denke, sie ist hier besser aufgehoben als im Krankenhaus in Winton, aber wenn es Ihnen zuviel werden sollte, sagen Sie es bitte sofort. Dann lasse ich sie nach Winton verlegen. Sie schulden ihr nichts.«
»Doch«, entgegnete Elizabeth. »Doch. Sie hat mich aus der Langeweile gerettet, und wenn Sie wüßten, was das für mich bedeutet –«
»Glauben Sie mir, ich kenne die Langeweile«, sagte er ruhig. »Es gibt nur eines, was schlimmer ist, und das ist die Erinnerung. Die Langeweile kann man bannen, die Erinnerung läßt sich nicht auslöschen. So, und jetzt gehe ich. Wenn die Patientin in der Nacht aufwacht – aber nein! Geben Sie ihr um eins und um vier Kaffee mit einem Teelöffel Kognak. Wenn Sie irgendeine Veränderung an ihr bemerken, dann holen Sie mich sofort. Gute Nacht – Schwester.«
Zum zweitenmal lächelte er sie an, dann trat er ans Bett der Patientin, fühlte ihren Puls, nickte Elizabeth noch einmal zu und ging hinaus. Vom Tisch im Korridor nahm er die Whiskyflasche und das Glas mit, die er dort abgestellt hatte, ehe er ins Krankenzimmer getreten war, und machte sich auf den Weg zu seinem Zimmer.
Wenige Minuten nachdem Knowles gegangen war, hörte Elizabeth ihren Vater und Sergeant Cox, die zu ihren Zimmern gingen. Sie hörte, wie die beiden Türen geschlossen wurden. Das Brummen des Motors, der den Generator antrieb, hatte schon vor einiger Zeit aufgehört, der Akkordeonspieler war zu Bett gegangen. Das Haus war still, und auch das Buschland draußen, das den Hof umgab, war still.
Elizabeth versuchte zu lesen, aber nachdem sie sich eine Weile vergeblich bemüht hatte, an der Geschichte Interesse zu finden, legte sie das Buch aus der Hand und setzte sich bequemer in ihren Sessel. Die kleine Uhr auf dem Tisch zeigte Mitternacht. Einer der Hunde, die drüben bei den Arbeiterquartieren angekettet waren, begann zu bellen – nicht wütend, aber hartnäckig, wie gereizt durch die Nähe eines Kaninchens. Das Tier war zu weit weg, um durch sein Bellen zu stören.
Sie überdachte die Geschehnisse des Nachmittags. Wie hatten sie so dumm sein können, das rote Flugzeug nicht nach den Sachen der jungen Frau zu durchsuchen? Ihre Handtasche hätte gewiß Aufschluß über ihre Person geboten. Andererseits war das Versäumnis verständlich. Wer wäre über die Entdeckung des Flugzeugs und der kranken jungen Frau darin nicht zunächst einmal völlig überrascht gewesen? Ihre schreckliche Notlage, das Bedürfnis, ihr schnellstens zu helfen, hatten alle anderen Überlegungen in den Hintergrund gedrängt. Im übrigen war ja nichts verloren; die Maschine stand sicher, und morgen früh würden ihr Vater und Sergeant Cox zum Emu Lake fahren und die Durchsuchung nachholen.
Sergeant Cox allerdings, der immer auf strenge Disziplin hielt, hatte seine Mißbilligung über ihr Versäumnis nicht verborgen. Wirklich, ein eisenharter, unbeugsamer Mann. Elizabeth fragte sich, ob er wenigstens daheim, bei seiner Familie, ab und zu Nachgiebigkeit zeigte. Sie jedenfalls konnte nichts Weiches, keinerlei menschliche Schwäche an ihm entdecken, und doch sagte man viel Gutes über ihn. Selbst Ned Hamlin, der unweigerlich in einer Zelle landete, wenn er Golden Dawn unsicher machte, schien den Sergeant zu mögen.
Nun, diese Geschichte hatte auf jeden Fall die Langeweile vertrieben. Es verwunderte und quälte sie, daß ihr Leben sie so langweilen konnte. Die Greyson–Mädchen langweilten sich nie, aber sie waren eben auch mehrere. Sie hatten immer eine Partnerin zum Tennis, Golf oder Bridge. Elizabeth spielte gern Tennis, das Golfspiel konnte sie nicht begeistern, und Bridge haßte sie.
Vielleicht war diese nagende Unzufriedenheit mit dem Leben und seinen Gaben einfach in ihr angelegt. Warum konnte sie das Leben nicht mit der gleichen Unbekümmertheit anpacken wie Ted Sharp? Ted Sharp, der ritt wie der Teufel, schuftete wie ein Pferd und unerschütterlich war
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