Das Rote Kornfeld
der Sonne und verursachte unerträgliche Schmerzen. Seine Hände waren rauh und blutig, und der Speichel lief ihm über das Kinn. Die purpurrote Flamme hörte nicht auf, über die Innenseite seines Schädels zu streichen. Manchmal brannte sie stärker, manchmal schwächer, aber sie erlosch keinen Augenblick.
Gegen Mittag quälte sich ein Lastwagen über die kaum befahrbare Straße. Benommen hörte Onkel Luohan ein grelles Pfeifen und sah, wie die Arbeiter halb bewusstlos auf den Lastwagen zutaumelten. Er saß willenlos auf dem Boden und fragte sich nicht, warum der Lastwagen gekommen war oder wozu er da war. Er fühlte nichts als das Dröhnen der dunkelroten Flamme, die in seinem Schädel brannte.
Der Mann mit den Zigaretten kam wieder, zog ihn hoch und sagte: «Komm, älterer Bruder, es ist Essenszeit. Probier den japanischen Reis.»
Onkel Luohan stand auf und folgte ihm.
Aus dem Lastwagen wurden ein Paar Eimer mit schneeweißem Reis und ein Korb ausgeladen, in dem Tonschalen mit einem blauen Blumenmuster lagen. Neben den Eimern stand ein hagerer Chinese mit einem Messingschöpfer. Neben dem Korb stand ein fetter Chinese, der Schalen an die Männer ausgab, die sich in einer Schlange anstellten. Der andere teilte den Reis aus. Die Arbeiter standen um den Lastwagen herum und stopften sich das Essen mit bloßen Händen in den Mund.
Der Aufseher näherte sich, die Peitsche in der Hand. Noch immer stand das gleiche rätselhaft kalte Grinsen in seinem Gesicht. Die Flamme in Onkel Luohans Schädel loderte auf und warf ihr Licht auf Erinnerungen, die er zu vergessen versuchte. Er dachte an den Alptraum von jenem Vormittag. Die bewaffneten japanischen und chinesischen Wächter versammelten sich um einen Emailkübel, der ihr Mittagessen enthielt. Ein Wachhund mit langer Schnauze und gestutzten Ohren saß hinter dem Kübel. Mit hängender Zunge blickte er auf die Arbeiter.
Onkel Luohan zählte das knappe Dutzend Japaner und das knappe Dutzend Marionettensoldaten, und das Wort Flucht schoss ihm in den Sinn. Flucht! Wenn er es bis zu den Hirsefeldern schaffte, würden ihn die Schweine nicht einholen. Seine Fußsohlen waren heiß und feucht von Schweiß. Nachdem er angefangen hatte, über eine Flucht nachzudenken, wurde er nervös und ängstlich. Irgendetwas verbarg sich hinter dem kalten, ruhigen Grinsen des Aufsehers. Was war es? Onkel Luohans Gedanken verwirrten sich, wenn sein Blick auf dieses grinsende Gesicht fiel.
Der fette Chinese sammelte die Schalen wieder ein, noch bevor die Arbeiter zu Ende gegessen hatten. Sie leckten sich die Lippen und starrten gierig auf die Reiskörner, die an den Essenskübeln klebten, wagten aber keine Bewegung. Am nördlichen Flussufer schrie laut ein Maultier. Onkel Luohan erkannte die vertraute Stimme. Die Tiere waren neben der neu angelegten Trasse an Walzsteine angebunden. Überall lagen geknickte Hirsehalme.
Träge knabberten die Maultiere an zertrampelten Zweigen und Blättern.
An diesem Nachmittag rannte ein Mann von etwa zwanzig Jahren in das Hirsefeld, als er glaubte, der Aufseher sähe ihn nicht. Eine Kugel folgte seinem Fluchtpfad. Regungslos blieb er am Feldrand liegen.
Der braune Lastwagen kam wieder, als die Sonne im Westen unterging. Onkel Luohan aß seine Schale Reis. Sein Verdauungssystem, das an Hirse gewöhnt war, wollte den schimmeligen weißen Reis ausstoßen, aber er zwang sich, das Essen herunterzuschlucken. Der Gedanke an Flucht war stärker als je zuvor. Er sehnte sich nach dem heimischen Brennereigelände im nahen Dorf und nach dem durchdringenden Schnapsgeruch, der dort in der Luft lag. Alle Brennereigehilfen waren geflohen, als die Japaner kamen; und der dampfende Brennkessel war kalt geworden. Noch stärker war seine Sehnsucht nach meiner Großmutter und meinem Vater. Er hatte die Wärme und Zufriedenheit nicht vergessen, die sie ihm neben dem Hirsehaufen geschenkt hatte.
Nach dem Essen wurden die Arbeiter in eine Art Verschlag aus Holzpfählen und aufgespannten Zeltplanen getrieben. Die Pfähle waren durch Drähte in der Dicke von Mungobohnen verbunden, und das Lagertor bestand aus dicken Metallstäben. Die Japaner und ihre chinesischen Gehilfen waren ein paar Meter vom Lager entfernt in eigenen Zelten untergebracht. Der Wachhund war vor einem der japanischen Zelte angebunden. An einem hohen Mast vor dem Tor waren zwei Laternen befestigt. Darunter hielten japanische und chinesische Soldaten abwechselnd Wache. Die Maultiere und Pferde waren auf einem
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