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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Sonne erhob sich über dem östlichen Hirsefeld, und ihre Strahlen fielen hell in die schwarze Öffnung, die Onkel Luohans Mund war.
     
     
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    Im roten Sonnenlicht, das soeben die Nebelwand durchbrochen hatte, zog die Kolonne zum Fluss herunter. Das Gesicht meines Vaters schimmerte wie die Gesichter der anderen auf einer Seite rot, auf der anderen grün, und wie die anderen starrte auch er in den Nebel, der sich über dem Schwarzwasserfluß zu lichten begann. Die vierzehn Bogen einer steinernen Brücke verbanden den südlichen mit dem nördlichen Teil der Landstraße. Weiter im Westen sah man noch die alte Holzbrücke. An manchen Stellen waren ihre verrotteten Planken ins Wasser gestürzt, und nur die braunen Pfosten standen aufrecht in der weißen Gischt, die den Fluss hinab trieb. Die roten und grünen Farbtöne zwischen den Nebelschwaden und ihr Spiegelbild im Wasser waren von erschreckender Ernsthaftigkeit. Von der Böschung streifte der Blick über endlose Hirseflächen, ein ruhiges, glattes, ebenes Meer reifer roter Gesichter. Natürlich war mein Vater zu jung, um das, was er sah, mit so gewählten Worten zu beschreiben. Die Metaphern stammen von mir.
    Die Hirse wartete ebenso wie die Männer auf die Ernte, die der Zeit der Blüte folgen musste.
    Die Landstraße zog sich schnurgerade gen Süden, wurde schmaler und schmaler und verschwand schließlich zwischen den Hirsefeldern. Fern am Horizont, wo die Getreidehalme mit dem blassen Himmelszelt verschmolzen, bot der Sonnenaufgang einen trüben, feierlichen und dennoch erregenden Anblick.
    Voll Neugierde beobachtete Vater die schweigsamen Partisanen. Wo kamen sie her? Wo gingen sie hin? Warum legten sie sich in den Hinterhalt? Was würden sie tun, wenn alles vorbei war? In der feierlichen Stille klang das Plätschern des Wassers an den Brückenpfosten lauter denn je zuvor und viel, viel frischer. Reste der Nebelwand, die die Sonnenstrahlen zerschlagen hatten, legten sich über das Wasser, und die Farbe des Schwarzwasserflusses wandelte sich von tiefem Karmin zu brennendem Goldrot. Der Fluss war voll von Farbe. Eine einsame welke Wasserpflanze trieb vorüber. Die einst aggressiv strahlenden Blüten hingen matt und bleich wie Seidenraupen zwischen dem dunklen Blattwerk. «Es ist wieder Krabbenzeit», dachte Vater. «Die Herbstwinde wehen, die Luft wird kühler, ein Schwarm Wildgänse zieht nach Süden ...» Onkel Luohan ruft: «Jetzt, Douguan, jetzt!» Das verworrene Muster der Krabbenscheren bedeckte den weichen, schwammigen Uferschlamm. Vater roch den zarten fischigen Geruch von Krabben, der vom Fluss herüberwehte. Vor dem Krieg benutzte meine Familie Krabbenpaste als Dünger für den Mohn, der groß und breit in strahlenden Farben blühte und einen überwältigenden Duft verströmte.
    «Geht hinter der Böschung in Deckung», sagte Kommandant Yu. «Stummer, bring deine Rechen in Stellung.»
    Der Stumme nahm ein paar Drahtschlingen von der Schulter und band die vier Rechen aneinander. Er grunzte seinen Kameraden etwas zu, und sie halfen ihm, die Kette von Rechen an die Stelle zu tragen, wo die Steinbrücke auf die Landstraße traf.
    «In Deckung, Männer», befahl Kommandant Yu. «Bleibt in Deckung, bis der japanische Konvoi auf der Brücke ist und Zugführer Lengs Trupp ihm den Rückweg abgeschnitten hat. Schießt nicht, bevor ich den Befehl gebe. Dann macht die japanischen Schweine nieder und werft sie den Aalen und Krabben zum Fraß vor!»
    Der Stumme führte die Hälfte der Männer in das Hirsefeld westlich der Landstraße, wo sie sich versteckten. Wang Wenyi folgte dem Trupp des Stummen, aber sie schickten ihn zurück. «Ich will, dass du bei mir bleibst», sagte Kommandant Yu. «Hast du Angst?»
    Wang Wenyi nickte ein paar Mal und sagte: «Nein.»
    Kommandant Yu ließ die Brüder Fang auf der Böschung ihre Kanone aufstellen. Dann sagte er zum Hornisten Liu: «Alter Liu, sobald wir das Feuer eröffnen, bläst du so laut du kannst dein Signalhorn. Davor haben die blöden Japaner einen Wahnsinnsschiss. Hörst du mich?»
    Hornist Liu war ein alter Kumpel des Kommandanten Yu, aus der Zeit, als dieser Sänftenträger und Liu Begräbnismusiker gewesen war. Er hielt sein Horn wie ein Gewehr in beiden Händen.
    «Eine letzte Warnung an euch alle», ermahnte Kommandant Yu den Trupp. «Ich werde jeden Feigling unter euch erschießen. Wir dürfen uns vor Leng und seinen Männern nicht blamieren. Die Armleuchter protzen mit ihren Fahnen und Signalhörnern. Das ist

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