Das Rote Kornfeld
planierten Grundstück westlich des Lagers an Holzpfosten angebunden.
Die Luft im Lager war erstickend. Ein paar Männer schnarchten laut, andere erleichterten sich in einen Eimer am Zaun. Das Plätschern des Urins klang wie Perlen, die auf eine Jadeschale fallen. Im fahlen Licht der Laternen bewegten sich unruhig die langgezogenen Schatten der Wachposten.
Im Verlauf der Nacht wurde die Kälte unerträglich. Onkel Luohan konnte nicht schlafen. Er dachte immer noch an Flucht, und rund um das Lager erklangen die Schritte der Wachen. Er lag da und wagte nicht, sich zu rühren. Schließlich fiel er in unruhigen Schlaf. Im Traum fühlte sich sein Kopf an, als durchbohre ihn ein scharfes Messer, und es war, als hielten seine Hände Brandeisen. Er erwachte schweißgebadet, und seine Hose war uringetränkt. Aus einem fernen Dorf erklang ein schriller Hahnenschrei. Pferde und Maultiere stampften und schnaubten. Schüchtern zwinkerten die Sterne durch die löchrige Plane, die als Dach diente.
Leise richtete sich der Mann auf, der ihm am Vortag geholfen hatte. Selbst im Dunkel des Lagers konnte Onkel Luohan seine leuchtenden Augen sehen, und er wusste, dass das kein gewöhnlicher Mensch war. Still lag Onkel Luohan da und beobachtete jede seiner Bewegungen.
Der Mann saß am Lagereingang und hob langsam und kontrolliert die Arme. Onkel Luohans Augen klebten an seinem Rücken und seinem Kopf, der von einer geheimnisvollen Aura umgeben schien. Der Mann atmete tief ein, lauschte mit vorgeneigtem Kopf, ließ seine Hände vorschießen wie die Pfeile aus einem Bogen und griff zwei Metallstäbe. Aus seinen Augen sprühte ein grünes Licht, das zu knistern schien, wenn es auf Widerstand traf. Leise öffneten sich die Metallstäbe. Durch die Öffnung fielen Laternenlicht und Sternenschein. Ein Schuh mit einem großen Loch in der Sohle wurde sichtbar. Ein Wächter näherte sich. Onkel Luohan sah, wie sich ein dunkler Schatten aus dem Tor stürzte. Der japanische Wächter gab einen Grunzlaut von sich und sank dann im stahlharten Griff des Mannes zu Boden. Der Mann hob das Gewehr des Japaners auf und verschwand lautlos im Dunkeln.
Es dauerte lange, bis Onkel Luohan verstand, was geschehen war. Offenbar handelte es sich um einen Meister der Kriegskunst, und er hatte ihm den Weg gewiesen. Zeit zur Flucht. Vorsichtig kroch Onkel Luohan durch die Öffnung. Der tote Japaner lag auf dem Rücken; ein Bein zuckte noch.
Onkel Luohan kroch ins Hirsefeld. Dann richtete er sich auf und folgte vorsichtig den Furchen. Auf dem ganzen Weg zum Schwarzwasserfluß achtete er sorgsam darauf, die Halme nicht anzustoßen, damit sie nicht raschelten. Das Dreigestirn des Orion stand im Zenit. Die schwere Dunkelheit, die vor der Dämmerung herrscht, umgab ihn. Im Schwarzwasserfluß spiegelten sich funkelnde Sterne. Als er kurz am Ufer stehenblieb, zitterte er vor Kälte. Seine Zähne klapperten, und der Schmerz an seinem Kinn breitete sich über die Wangen und die Ohren aus, um schließlich mit dem klopfenden Schmerz unter seiner eiternden Kopfhaut zu verschmelzen. Die rauhe Luft der Freiheit, die den Duft der Hirse durchwehte, drang in seine Nüstern, seine Lungen, seine Eingeweide. Das schummrige Licht der beiden Laternen schien schwach durch den Nebel. Die dunklen Umrisse des Lagerzauns glichen einem riesigen Friedhof. Erstaunt, wie leicht es gewesen war, zu entkommen, betrat er die baufällige Holzbrücke über den springenden Fischen und dem plätschernden Wasser. Eine Sternschnuppe huschte über den Himmel. Es war, als sei nichts geschehen. Er konnte ins Dorf zurückkehren, sich verstecken, warten, dass seine Wunden heilten, weiterleben. Aber als er auf der Brücke stand, hörte er vom Südufer her den klagenden Schrei eines Maultiers. Um der Maultiere willen ging er zurück, und so nahm die Tragödie ihren Lauf.
Auf einem Grundstück in der Nähe des Lagers, das nach Maultiermist und Pferdepisse stank, waren an einem Dutzend Haltepfählen Pferde und Maultiere angebunden. Die Pferde schnaubten, die Maultiere knabberten an den Pfählen. Die Pferde fraßen Hirsehalme, die Maultiere schissen. Onkel Luohan, der bei jedem Schritt dreimal ins Stolpern kam, schlich sich zwischen die Tiere. Er atmete den willkommenen Geruch zweier schwarzer Maultiere ein, und seine Augen erkannten die vertrauten Gestalten. Er wollte seine Leidensgefährten befreien. Aber die Maultiere, denen die Welt der Vernunft fremd ist, wandten ihm den Rücken zu und schlugen mit den Hufen
Weitere Kostenlose Bücher