Das Rote Kornfeld
fünfhundert Kupfermantelgeschosse.»
«Kupfermantel, gar kein Mantel, Regenmantel! Ich hab alles weggeschafft, als sie den Fünften Bruder verhaftet haben. Ich kann keine Patronen aus der Luft herbeizaubern.»
«Lass das Geschwätz! Hier sind fünfzig Dollar. Habe ich, Yu Zhan’ao, dich jemals schlecht behandelt?»
«Lieber Bruder», sagte die Frau, «wie redest du mit mir? Behandle deine kleine Schwester nicht wie eine Fremde.»
«Mach mich nicht wütend», sagte Großvater in drohendem Tonfall.
«Du wirst niemals damit aus der Stadt rauskommen.»
«Das ist nicht dein Problem. Ich brauche fünfhundert große Patronen und fünfzig kleine.»
Die Frau ging in den Hof und sah sich um und vergewisserte sich, dass niemand da war. Dann kam sie ins Haus zurück, öffnete eine Geheimtür in der Mauer und holte eine Handvoll goldglänzender Patronenhülsen heraus.
Großvater nahm einen Sack, steckte die Munition hinein und band ihn sich um die Hüften. «Gehen wir», sagte er.
Die Frau hielt ihn zurück. «Wie willst du rauskommen?»
«Ich werde am Bahnhof über die Gleise kriechen.»
«Geht nicht!» sagte sie. «Da gibt es Blockhütten mit Suchscheinwerfern, Hunden und Wachposten.»
«Wir werden es versuchen», sagte Großvater grinsend, «und wenn es schiefgeht, kommen wir wieder.»
Großvater und Vater machten sich in der dunklen Gasse auf den Weg und schlichen sich in die Nähe des Bahnhofs. Bis hierhin ging die Stadtmauer nicht, also versteckten sie sich an der Wand einer Hufschmiede, von wo aus sie den hell beleuchteten Bahnsteig und die Wachposten gut überblicken konnten. Großvater flüsterte Vater etwas ins Ohr und führte ihn dann zum Güterabstellgleis am hintersten Ende des Bahnhofs. Ein Stacheldrahtzaun verband den Bahnhof mit der Stadtmauer, und die Suchscheinwerfer auf den Blockhütten schienen auf Dutzende von Gleisen. Eine große Kugellampe im Frachthof warf ihr unheimliches Licht über den ganzen Bereich.
Vater kroch neben Großvater darauf zu und beobachtete die Wachposten, die jenseits des Stacheldrahts auf und ab marschierten.
Aus dem Schornstein eines Güterzuges, der von Westen kam, sprühten rote Funken. Der Lichtstrahl glich einem Fluss, der schnell auf sie zuströmte. Die Schienen ächzten und dröhnten.
Großvater und Vater krochen näher an den Stacheldrahtzaun und begannen, ein Loch hineinzuzupfen, durch das sie hindurchkriechen konnten. Aber der Draht war zu straff gespannt, und ein Stachel bohrte sich in Vaters Handfläche. Leise wimmerte er.
«Was ist los?» flüsterte Großvater.
«Ich hab mich geschnitten», flüsterte Vater zurück.
«Wir kommen nicht durch. Kommt mit zurück!»
«Wenn wir unsere Pistolen hätten ...»
«Damit könnten wir es auch nicht schaffen.»
«Wir könnten auf den Scheinwerfer da schießen.»
Sie zogen sich in den Schatten zurück, und Großvater hob einen Stein auf und warf ihn über die Gleise. Ein Wachposten schrie auf und gab einen Schuss ab. Der Suchscheinwerfer drehte sich über den ganzen Bereich, und ein Maschinengewehr eröffnete das Feuer. Das Geräusch betäubte Vater beinahe. Querschläger schlugen Funken aus den Gleisen.
Das Herbstfest, der fünfzehnte Tag im achten Monat nach dem alten Kalender, ist einer der wichtigsten Markttage im Bezirk Gaomi. Auch im Krieg geht das Leben weiter, und die Menschen müssen Nahrung und Kleidung einkaufen. Geschäft ist Geschäft. Als ein junger Mann namens Gao Rong um acht Uhr früh am Nordtor seinen Posten bezog, um die Passanten zu durchsuchen und auszufragen, waren die Straßen voll von Menschen, die in die Stadt wollten oder die Stadt verließen. Der junge Wachposten wusste, dass ihn ein japanischer Soldat mit kaum verhohlenem Abscheu überwachte.
Ein älterer Mann um die Fünfzig und sein jugendlicher Begleiter verließen die Stadt und trieben einen Ziegenbock vor sich her. Im dunklen Gesicht des Älteren leuchteten stahlharte Augen. Über das gerötete Gesicht des Jungen strömten nervöse Schweißbäche. Die Straßen waren voll von Menschen, und alle wurden am Tor angehalten und von Gao Rong befragt.
«Wohin willst du?»
«Aus der Stadt raus, nach Hause», antwortete der Alte.
«Nicht auf den Markt?»
«War ich schon. Hab diese halbtote Ziege gekauft. War billig.»
«Wann bist du in die Stadt gekommen?»
«Gestern nachmittag. Wir waren bei einem Verwandten. Hab den Bock heute früh gekauft.»
«Und wo geht es jetzt hin?»
«Aus der Stadt raus, nach Hause.»
«Gut, ihr könnt
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