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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Die Krähen auf der Dorfmauer verstummten. Als die Marionettentruppen die Mauer erreichten, flogen ihnen Dutzende von Handgranaten mit Holstielen entgegen und explodierten in ihren Reihen. Großvater hatte nicht gewusst, dass der Dorfälteste Ruolo genug Geld zusammengekratzt hatte, um in der Munitionsfabrik des Zugführers Leng Granaten zu kaufen. Es gab Dutzende von Gefallenen. Die anderen machten kehrt und liefen davon. Die Japaner folgten ihnen. Dutzende von Verteidigern mit Jagdgewehren und selbstgebastelten Geschützen sprangen auf die Mauer, feuerten ihre Waffen ab und verschwanden wieder hinter der Mauer.
    Später erfuhr Großvater, dass am Nord-, Ost- und Westrand des Dorfes ebensolche gegen alle Regeln der Kriegskunst verstoßende Kämpfe stattgefunden hatten.
    Die Japaner schossen noch eine Granatwerfersalve ab und landeten einen direkten Treffer auf das Metalltor des Dorfes. Das Tor zersprang. Was blieb, war eine gähnende Öffnung.
    Wieder eröffneten Großvater und Vater das Feuer auf die Bedienungsmannschaft der Granatwerfer. Mit vier Schüssen streckte Großvater zwei japanische Soldaten nieder. Vater gab nur einen Schuss ab. Er zielte auf einen Japaner, der breitbeinig über einem Granatwerfer saß und mit beiden Händen ein Geschoß in den Lauf steckte. Um sicher zu treffen, hielt er seinen Browning in beiden Händen, zielte sorgfältig auf den breiten Rücken des Japaners und drückte ab. Aber die Kugel traf den Mann in den Hintern. Zu Tode erschreckt, fiel er nach vorne über den Lauf, und sein Körper dämpfte das Explosionsgeräusch. Vater sprang vor Freude in die Höhe, und irgend etwas sauste geräuschvoll direkt an seinem Kopf vorbei. Der Lauf des Granatwerfers war explodiert, und der Zündbolzen flog gute zehn Meter durch die Luft und landete genau neben Vaters Kopf. Wenige Zentimeter daneben, und er hätte ihn getötet.
    Noch Jahre später erzählte Vater von diesem einen, großartigen Schuss.
    Sobald das Dorftor gesprengt war, stürmte ein Kavallerietrupp mit gezogenen Säbeln das Dorf. Vater starrte mit einer Mischung von Schrecken und Neid auf die gut gewachsenen, kräftigen Reitpferde. Die Hirsehalme schlangen sich um ihre Beine und kratzten sie im Gesicht. Die Pferde bäumten sich im Angriff auf, sprangen mühsam voran und donnerten Seite an Seite durch das Dorftor, als ginge es auf die heimische Koppel. Metallrechen und hölzerne Pflugscharen, Mauersteine und Dachziegel, manchmal auch Schalen von heißem Hirsebrei ergossen sich vom Tor herab auf die erschreckt aufschreienden Reiter, die den Kopf mit den Händen bedeckten, und ließen ihre Reittiere empört aufspringen. Ein paar galoppierten weiter ins Dorf hinein, andere machten kehrt und rasten wieder zurück.
    Großvater und Vater beobachteten den seltsam missglückten Kavallerieangriff mit einem leisen Lächeln.
    Durch ihre Ablenkungsmanöver waren chinesische Marionettentruppen auf sie aufmerksam geworden, und bald schloss sich auch japanische Kavallerie dem Suchkommando an. Immer wieder sah sich Vater mit dem kalten Glänzen eines japanischen Säbels konfrontiert, aber immer wieder lenkten die Hirsestauden den Hieb ab. Eine Kugel kratzte Großvaters Scheitel. Das dichte Hirsegestrüpp rettete Großvater und Vater das Leben. Wie gejagte Kaninchen krochen sie auf der Flucht durchs Feld. Am späten Nachmittagerreichten sie den Schwarzwasserfluß.
    Sie überprüften, wieviel Munition sie noch hatten, und drangen wieder ins Hirsefeld ein. Sie waren nicht weit gegangen, als sie vor sich die Rufe hörten: «Kameraden! ... Zum Angriff! ... Vorwärts! ... Tod den japanischen Imperialisten!»
    Die Schlachtrufe verklangen, Hornsignale ertönten, es folgte das Rattern schwerer Maschinengewehre.
    Neugierig und aufgeregt rannten Vater und Großvater auf das Maschinengewehrfeuer zu, so schnell die Beine sie trugen. Als sie ankamen, war der Ort verlassen. Unter den Hirsestauden fanden sie zwei metallene Ölfässer, in denen Feuerwerkskörper explodierten.
    Die Schlachtrufe und Hornsignale kamen irgendwoher aus unmittelbarer Nähe.
    «So einen Trick würde nur das Jiao-Gao-Regiment versuchen», sagte Großvater mitverächtlichem Grinsen.
    Die ohrenbetäubenden Explosionen der Feuerwerkskörper ließen reife Hirsekörner zu Boden fallen.
    Die japanische Kavallerie und die chinesischen Marionettensoldaten nahmen in einem Umgehungsmanöver das Gelände unter Sperrfeuer. Großvater zog sich zurück und zerrte Vater mit sich. Gebückt rannten ein paar

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