Das Rote Kornfeld
«Tu so, als ob du Bauchweh hättest. Stöhne ein bisschen.»
Vater stöhnte ein-, zweimal. «Richtig so, Vater?»
«Mit ein bisschen mehr Gefühl.»
Sie stellten sich in einer Reihe mit den Leuten auf, die in die Stadt wollten. «Aus welchem Dorf seid ihr?» blaffte der chinesische Soldat sie an. «Was habt ihr in der Stadt zu suchen?»
Mit schüchterner Stimme antwortete Großvater: «Aus Yutan, im Norden. Mein Sohn hat Cholera. Ich will ihn zu Doktor Wu bringen.»
Vater war von den Worten, die sein Vater mit dem Wachposten wechselte, so fasziniert, dass er vergaß zu stöhnen. Aber als Großvater ihn kräftig in die Schenkel kniff, schrie er vor Schmerz auf.
Der Wachposten winkte sie durch.
Als sie außer Hörweite waren, boxte Großvater Vater und fluchte: «Du kleiner Schweinehund! Warum hast du nicht gestöhnt?»
«Das hat weh getan, Vater, sehr weh.»
Großvater führte Vater über einen schmalen Aschenweg zum Bahnhof. Die Strahlen der Sonne versanken, die Luft stank. Vater sah, dass man neben dem alten Bahnhofsgebäude zwei Blockhütten errichtet hatte, über denen weiße japanische Fahnen mit roten Blutflecken in der Mitte wehten. Zwei japanische Soldaten, die Polizeihunde an der Leine führten, marschierten an den Blockhütten auf und ab. Dutzende von Zivilisten standen oder hockten hinter dem Geländer und warteten auf einen Zug. Auf dem Bahnsteig stand ein Chinese in schwarzer Uniform mit einer roten Laterne in der Hand. Pfeifend fuhr der Zug nach Osten ein. Der Boden bebte unter Vaters Füßen, und die Polizeihunde bellten den ankommenden Zug an. Eine verhutzelte alte Frau humpelte unter den wartenden Reisenden umher und versuchte, Zigaretten und Kürbiskerne zu verkaufen. Puffend fuhr der Zug ein, und die Räder kamen zum Stillstand. Vater sah, dass an der Lokomotive mehr als zwanzig Wagen hingen: zehn geschlossene und dazu zehn offene Güterwagen, deren Ladung locker mit grünem Öltuch abgedeckt war. Auf den Wagen standen Japaner, die ihren Landsleuten auf dem Bahnsteig etwas Unverständliches zuriefen.
Plötzlich erklang aus den Feldern nördlich der Gleise Gewehrfeuer, und Vater sah einen hochgewachsenen Japaner auf einem der Güterwagen, der schwankte und dann kopfüber zu Boden fiel. Wie Wölfe heulten die Wachhunde in einer der Blockhütten auf, und die aus- und einsteigenden Fahrgäste liefen davon. Die Polizeihunde bellten wütend, und die Maschinengewehre über den Hütten nahmen die nördlichen Felder unter Dauerbeschuss. Mitten in all der Wirrsal fuhr der Zug an und stieß schwarze Rauchwolken und Aschenregen über dem Bahnsteig aus. Großvater griff nach Vaters Hand und zerrte ihn schnell in eine dunkle Seitengasse.
Großvater stieß ein angelehntes Tor auf und betrat einen winzigen Hof, in dem eine kleine Papierlaterne, die am Dachbalken hing, ein schwaches, geheimnisvolles rotes Licht ausstrahlte. Das Gesicht der Frau, die am Eingang stand, war so dick gepudert, dass man ihr Alter nicht erraten konnte. Mit ihren geschminkten Lippen grinste sie breit und zeigte ihre glänzenden Zähne. Das schwarze Haar war auf dem Kopf hochgesteckt, hinter dem Ohr steckte eine Seidenblume.
«Bruder», rief sie in künstlich süßlichem Tonfall, «seit du Kommandant bist, denkst du wohl gar nicht mehr an deine kleine Schwester!» Sie umarmte Großvater wie ein kleines Mädchen.
«Lass das!» ermahnte der sie. «Nicht in Gegenwart meines Sohnes ! Für dich habe ich heute keine Zeit. Treibst du dich immer noch mit dem Fünften Bruder herum?»
Die Frau stürzte zum Hoftor und schloss es. Dann nahm sie die Laterne herunter und führte die beiden ins Haus. «Den Fünften Bruder hat das Garnisonskommando erwischt und verprügelt»», sagte sie schmollend.
«Ich dachte, Song Shun vom Garnisonskommando sei sein Blutsbruder.»
«Glaubst du wirklich, man könne sich auf windige Freunde wie den verlassen? Seit den Ereignissen in Qingdao sitze ich hier wie auf Nadeln.»
«Der Fünfte Bruder würde dich nie verraten. Er ist verschwiegen. Das hat er unter Beweis gestellt, als Cao Mengjiu ihn verhört hat», sagte Großvater.
«Was treibst du hier? Man hört, du hättest gegen japanische Truppen gekämpft.»
«Das war ein Reinfall. Ich werde dieses schmierige Schwein von pockennarbigem Leng umbringen!»
«Mach dich nicht an diese schmierige Kröte heran. Der ist eine Nummer zu groß für dich.»
Großvater zog die fünfzig Silberdollar aus der Tasche und warf sie auf den Tisch. «Ich brauche
Weitere Kostenlose Bücher