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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Jiao-Gao-Soldaten mit Handgranaten im Gürtel auf sie zu. Vater sah, wie einer von ihnen niederkniete und auf ein Hirsegebüsch feuerte, das unter dem Ansturm eines Hengstes wild raschelte. Das abgerissene Gewehrfeuer klang wie das Zerbrechen eines Tontopfs. Der Soldat versuchte, den Gewehrbolzen zurückzuziehen, um die abgeschossene Patronenhülse auszuwerfen, aber die Mechanik hatte sich verklemmt. Ein Schlachtpferd bäumte sich über ihm auf, und Vater sah den blinkenden Säbel des japanischen Reiters durch die Luft fahren und den Kopf des Mannes um Haaresbreite verfehlen. Der warf das Gewehr von sich und rannte davon. Doch das galoppierende Pferd hatte ihn bald eingeholt, der Säbel spaltete ihm den Schädel, und das Gehirn spritzte als klebriger Brei über die Hirse. Vater wurde es schwarz vor Augen, und er sank zu Boden.
    Durch den Angriff der Japaner war Vater von Großvater getrennt worden. Im Sonnenlicht, das auf sie fiel, warfen die Hirsepflanzen um ihn her dunkle Schatten. Drei pelzige Jungfüchse kreuzten seinen Weg. Er griff nach ihnen und packte eines der ungeschickten Tierchen am Schwanz. Aus dem Gebüsch drang zorniges Knurren, und mit drohend entblößten Fangzähnen sprang eine rote Fähe aus ihrer Deckung. Schnell ließ er das Junge los, und die Mutter brachte es in Sicherheit.
    Das Gewehrfeuer östlich, westlich und nördlich des Dorfes ließ nach. Über dem Süden lag tödliche Stille. Vater stieß erst leise Rufe aus, dann schrie er aus Leibeskräften. Keine Antwort von Großvater. Eine dunkle Angstwolke legte sich über sein Herz. In panischem Schrecken lief er in die Richtung, aus der das Gewehrfeuer zu kommen schien. Aufglimmend spiegelten sich die letzten Strahlen der Sonne in den Hirserispen, die ihn ersticken wollten. Vater fing an zu weinen.
    Auf der Suche nach Großvater stolperte er über die Leichen von drei Soldaten des Jiao-Gao-Regiments. Man hatte sie in Stücke gehackt, und ihre schmerzverzerrten Gesichter im düsteren Abendlicht machten ihm angst. Endlich stieß er auf eine Gruppe verängstigter Bauern, die sich an ihre Seile und Tragstangen geklammert im Hirsefeld versteckt hatten.
    «Habt ihr meinen Vater gesehen?» fragte Vater sie.
    «Junge», fragten sie zurück, «ist das Dorf offen?»
    An ihrer Aussprache erkannte er, dass sie aus dem Bezirk Jiao stammten. Er hörte einen alten Mann seinem Sohn umständliche Anweisungen geben: «Denk daran, was ich dir sage, Yinzhu. Lass keine Bettdecken liegen, selbst wenn die Baumwolle ganz zerschlissen ist. Aber such erst nach einem Kochtopf. Unserer ist kaputt.»
    Die Triefaugen des alten Mannes lagen in den Höhlen wie Rotztropfen. Vater, der keine Zeit an sie verschwenden konnte, zog weiter nach Norden. Am Dorfrand angekommen, empfing ihn ein Anblick, den Großmutter im Traum erblickt hatte, den Großvater im Traum erblickt hatte und der in seinen Träumen immer wieder aufgetaucht war. Am Ost-, Nord- und Westrand des Dorfes fanden heftige Kämpfe statt, und die Dorfbewohner - Männer und Frauen, Junge und Alte - brachen wie ein reißender Strom aus den Breschen in der Dorfmauer und rannten in die Hirsefelder.
    Vor Vater brach Gewehrfeuer aus, und er sah, wie sich ein Kugelhagel in das Hirsefeld vor dem Dorf ergoss. Seine Dorfgenossen - Männer und Frauen, Junge und Alte - wurden bis zum letzten Greis und Säugling unter den Hirsehalmen dahingemäht. Die Luft war voll von frischem Blut, das die Hälfte des Himmels mit einem roten Schleier überzog. Mit offenem Mund fiel Vater schwer zu Boden.
    Die Japaner zogen ins Dorf ein.
    Von Menschenblut befleckt, senkte sich die Sonnenscheibe hinter die Berge, und über der blutroten Hirse erhob sich der Mond der Mittherbstnacht.
    Vater hörte Großvaters gedämpften Ruf: «Douguan ... »

Viertes Kapitel
 
Begräbnis in der Hirse
     
     
1
     
    Im grausamen Monat April legen die Frösche im strahlenden Schein der Sterne ihre durchsichtigen Eier im Schwarzwasserfluß ab. In der Sonnenhitze schlüpfen dann Schwärme von sich windenden Kaulquappen ins warme Wasser aus, das wie frisch gepresstes Bohnenöl aussieht, und treiben als schwarze Schwärme im langsam dahinströmenden Fluss. An den Ufern wuchert das Hundsgras, und unter den Wildkräutern an der Böschung blüht purpurrot der Senf.
    Der Tag war den Vögeln günstig. Tonfarbene Lerchen mit weißen Punkten erhoben sich in den Himmel und ließen ihren Ruf vernehmen. Schwalben mit glänzendem Gefieder schossen über die spiegelglatte

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