Das Rote Kornfeld
gehen.»
Großvater und Vater verließen die Stadt und trieben den Ziegenbock vor sich her. Sein Bauch war so geschwollen, dass er kaum laufen konnte. Großvater benutzte eine Hirsestaude als Peitsche, und der Bock meckerte vor Schmerz hell auf und schlug mit dem Schwanz um sich. So zogen sie über die Sandstraße zur Nordostgemeinde im Bezirk Gaomi.
Am Grabstein legten sie eine Rast ein und holten ihre Waffen wieder.
«Sollen wir die Ziege laufenlassen, Vater?»
«Nein, wir nehmen sie mit. Zu Hause können wir sie zum Herbstfest schlachten.»
Sie erreichten das Dorf gegen Mittag und kamen an die hohe schwarze Mauer aus Dammerde, die wenige Jahre zuvor ausgebessert worden war. Aus der Dorfmitte und von weiter hinten erklangen Gewehrsalven, und Großvater musste daran denken, wie beunruhigt der Dorfälteste Zhang Ruolo gewesen war, als sie aufbrachen. Er dachte auch an die Vorahnung, die ihn seit Tagen nicht losließ. Er wusste, dass eingetreten war, was alle befürchtet hatten, und war froh, dass er sich an diesem Morgen entschlossen hatte, in die Stadt zu gehen. Trotz aller Gefahren hatten sie ihre Aufgabe erfüllt, und mehr konnte niemand verlangen.
Großvater und Vater trieben den halbtoten Bock ins Hirsefeld, und Vater schnitt den Hanffaden durch, mit dem sie ihm den Darm vernäht hatten. Er erinnerte sich wieder, wie sie dem Tier im Haus jener Frau die Patronen in den Hintern geschoben hatten. Mit fünfhundertfünfzig Schuss Munition in den Eingeweiden hing der Bauch des Ziegenbocks durch wie eine Mondsichel. Auf dem Heimweg hatte sich Vater Sorgen gemacht, ob die Kugeln den Bauch der Ziege sprengen würden oder ob das Tier es irgendwie schaffen würde, sie zu verdauen.
Kaum war der Hanffaden durchschnitten, da öffnete sich der After des Tiers wie eine Pflaumenblüte, und die lange zurückgehaltenen Kotkügelchen strömten hervor. Erschöpft brach das Tier zusammen. «Nicht doch»», rief Vater erschreckt aus. «Die Patronen sind zu Bockmist geworden.»»
Großvater griff den Bock bei den Hörnern, riss ihn hoch und schüttelte ihn. Der Schließmuskel des Tiers hatte seine Elastizität verloren, und es verstreute glänzende Patronen.
Großvater und Vater sammelten die Munition auf, luden ihre Waffen und steckten den Rest in die Taschen. Ohne sich weiter um den halbtoten Ziegenbock zu kümmern, bahnten sie sich durch die Hirse ihren Weg zum Dorf.
Über dem Dorf, das die Japaner umstellt hatten, lag ein dichter Rauchschleier von Mündungsfeuer. An ein oder zwei Stellen stieg der Rauch schwer und schwarz zum Himmel auf. Das erste, was Vater und Großvater sahen, waren acht im Hirsefeld versteckte Granatwerfer. Die Läufe hatten etwa halbe Mannshöhe und waren faustdick. Ungefähr zwanzig japanische Soldaten in khakifarbener Uniform bedienten unter dem Kommando eines hageren Japaners, der eine kleine Flagge schwenkte, die Geschütze. Hinter jedem Granatwerfer saß mit um den Lauf geschlungenen Beinen ein Japaner und hielt eine glänzende Flügelgranate in der Hand. Wenn der Hagere die Flagge senkte, ließen sie die Granate in die Läufe fallen. Die zuckten mit einem Knall und einer Rauchwolke zurück, wenn die hell glänzenden Geschosse sich in heulenden Bogen in die Luft erhoben, bevor sie innerhalb der Dorfmauern zu Boden gingen. Über dem Dorf stiegen acht Rauchwolken auf, ihnen folgte achtfaches Aufprallgeräusch, das schnell zu einer einzigen lauten Detonation verschmolz. Acht Rauchwolken erblühten wie dunkle, verschwommene Blumen. Die Japaner schossen die nächste Salve ab.
Wie aus einem Traum erwacht, griff Großvater nach seinem Gewehr und feuerte ab. Der flaggenschwenkende Japaner ging zu Boden. Vater sah, wie sich die Kugel in den knochigen Schädel des Mannes grub, der an einen vertrockneten Rettich erinnerte. Das erste, was er dachte, war: Auf zur Schlacht! Mit verwirrtem Gesichtsausdruck feuerte auch er. Aber seine Kugel prallte mit lautem metallischem Klirren am Sockel eines Granatwerfers ab und fiel irgendwo zu Boden. Die japanischen Kanoniere griffen nach ihren Gewehren und eröffneten das Feuer. Großvater griff nach Vater und zerrte ihn unter die Hirsestauden.
Die Japaner und ihre chinesischen Marionettentruppen gingen zum Angriff über. Die erste Linie bildeten die vornübergebeugten Chinesen, die durch das Hirsefeld rannten und schossen, ohne zu zielen. Ihnen folgten die japanischen Soldaten, die ebenfalls vornübergebeugt voranstürmten.
Im Hirsefeld ertönte Maschinengewehrfeuer.
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