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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Schritt gehen. Aber lahm oder nicht, er würde sich zum Haus des Zweigsekretärs durchkämpfen und Getreide verlangen.
    Als das Feuer im Ofen endgültig zu erlöschen drohte, fiel sein Blick auf den Schrein in der Wand und die schwarze Geistertafel darin. Er streckte den Stock mit dem Drachenknauf aus, um die Tafel loszurütteln. Unter lautem Poltern stoben Staubwolken auf und legten die ursprüngliche Holzfarbe frei, die von jahrealten Rauchschichten bedeckt war. Furcht ergriff sein altes Herz, und Elend erfasste ihn bis ins Knochenmark. Tief in sein Elend versunken, griff er nach der Geistertafel des Fuchsgeistes, vor der er sechsunddreißig Jahre lang Opfer dargebracht hatte, und warf sie mitten in den Ofen. Die hungrigen Flammen streckten ihre Zungen aus und beleckten die Tafel. Die zischte und krachte und versprühte saftige dunkelrote Tropfen, als werde das Fleisch des Fuchsgeistes geröstet, des Fuchses, der so eifrig die achtzehn Wunden seines Körpers geleckt hatte. Noch Jahre später konnte er sich genau an die wunderbare, kühle Zunge erinnern. Die Fuchszunge muss Wunderkräfte besessen haben. Den Glauben konnte ihm niemand nehmen, denn als er ins Dorf zurückgekrochen war, waren seine Wunden nicht entzündet, und er hatte keine ärztliche Behandlung gebraucht.
    Wenn er den Nachgeborenen von dieser seltsamen Begebenheit erzählte, erntete er ungläubige Blicke. Wütend zog er dann sein Hemd aus und zeigte ihnen seine Narben. Aber selbst das überzeugte sie nicht. Er aber war sicher, dass seine wundersame Rettung Gutes für die Zukunft bedeutete, auch wenn sich das Glück nie einstellte. Schließlich wurde er Rentner im Schutz der Fünf Garantien und wusste, dass das Glück ihn endlich gefunden hatte.
    Aber selbst dies Glück war ihm nicht treu geblieben. Keiner kümmerte sich um ihn, und schon gar nicht der kleine Schweinehund, der vor Jahren in dem Korb auf dem Rücken eines Maultiers gesessen und an einem Holzstück geschnitzt hatte. Der war jetzt Zweigsekretär und wäre wohl Provinzsekretär geworden, wenn er nicht während des Großen Sprungs nach vorn am Tod von neun Menschen schuld gewesen wäre. Der kleine Schweinehund hatte ihm das Recht auf die Fünf Garantien entzogen ! Die hölzerne Tafel verbrannte genauso langsam wie ein echter Fuchs, und als die blutroten Flammenzungen erstarben, hörte er das Wasser im Topf sieden und kochen.
    Mit der gesprungenen Kürbisschale schöpfte er das trübe, kochende Wasser, schlürfte schnell einen Mundvoll und ließ ihn in den Magen strömen. Er schüttelte sich vor Wohlbehagen und schluckte noch einen Schluck heißes Wasser. Jetzt war er ein Unsterblicher.
    Als er zwei Kürbisschalen heißes Wasser getrunken hatte, war sein Körper schweißüberströmt, und die Läuse, die aus ihrem Winterschlaf erwachten, fingen an sich zu regen und herumzukrabbeln. Aber sie bissen ihn nicht. Jetzt war er noch hungriger als zuvor, aber er fühlte sich wieder kräftig. Auf den Stock mit dem Drachenkopf gestützt, wanderte er in die verschneite Landschaft hinaus. Klare weiße Jadescherben knirschten unter seinen Füßen. Das Geräusch hallte in seinen Ohren wider, sein Geist war so klar wie der Himmel im August. Die Straße war menschenleer. Nur ein schwarzer Hund mit einem Mantel von Schnee auf dem Rücken lief behutsam über das Eis. Immer wieder blieb er stehen und schüttelte sich. Dann wirbelten Schneeflocken durch die Luft, und das schwarze Fell wurde für einen Augenblick sichtbar, bevor der Schnee es wieder bedeckte.
    Er folgte dem schwarzen Hund zum Haus des kleinen Schweinehunds. Das glänzendschwarze Hoftor war verschlossen. In hellen roten Tropfen fielen die Blüten der Winterpflaume über die Wand. Zerstreut betrachtete er die Blumen, stieg die steinerne Treppe hinauf, atmete tief durch und klopfte ans Tor. Im Hof bellte ein Hund, kein Mensch rührte sich. Wut packte ihn. Er lehnte sich gegen die Wand, hob den Stock mit dem Drachenknauf und ließ ihn donnernd auf den Türriegel fallen. Der Hund auf der anderen Seite kläffte und heulte.
    Schließlich öffnete sich das Tor. Ein fetter kleiner Hund mit hellen Augen und glänzendem geflecktem Fellstürzte sich auf ihn, zog sich aber schnell zurück, als er ihm den Stock vors Gesicht hielt. Er knirschte mit den wunderschönen weißen Zähnen, bellte und knurrte. Dann erschien das hellhäutige Gesicht einer Frau mittleren Alters. «Ach, du bist es, Meister Geng», sagte sie freundlich, als sie Geng mit den Achtzehn

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