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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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Älteren auseinanderschob. Lina war gar nicht aufgefallen, dass nicht nur das Oberteil, sondern auch der Rock aufgeschlitzt war. Borghoff wich zurück, und Lina konnte sehen, was ihn so erschreckt hatte.
    Waren schon die geöffneten Brustkörbe ein Schock gewesen, so war dieser Anblick noch schlimmer: ein tiefer Schnitt verlief mittig über den gesamten Unterleib des Kindes, als hätte man es regelrecht aufgeklappt. Simon hatte sich schon vorher abgewandt und hinter die Polizisten gestellt. Lina starrte genauso entsetzt wie Borghoff auf die Leiche mit der riesigen klaffenden Wunde. Sie schwankte.
    Borghoff fing sie auf und führte sie ein Stück weg. «Zu viel Neugierde wird bestraft, mein Fräulein.» Bei einem anderen Mann hätte dieser Satz einen falschen Beigeschmack gehabt, aber Borghoff meinte es ernst.
    Trotzdem fühlte Lina sich bemüßigt, in gewohnter Schärfe zu antworten. «Ich bemerke auch Ihr Entsetzen, Herr Commissar, und ein Mann wie Sie hat sicher schon ganz andere Dinge gesehen.»
    Er hob die Braue des gesunden Auges. «Trotzdem sollten Sie jetzt nach Hause gehen. Der Junge war Ihre Begleitung?»
    Sie nickte. «Er ist der Hausdiener meiner Freundin.»
    «He, Junge, wie heißt du?», rief er zu Simon hinüber.
    «Simon Weber.»
    «Dann komm mal her, Simon Weber.»
    Simon kam folgsam zu ihnen herüber.
    «Ich möchte, dass du das Fräulein sicher nach Hause bringst. Und morgen früh meldest du dich auf der Dienststelle zu einer Vernehmung.» Er bemerkte, wie der Junge erbleichte, und lächelte. «Keine Angst, dir wird dabei nichts passieren. Wir schreiben nur auf, was du gesehen hast.»
    Simon nickte, doch wirklich erleichtert wirkte er nicht.
    Lina ging nochmal zu den Leichen hinüber, um ihren Stock aus der Wiese zu ziehen. Sie konnte nicht umhin, wieder einen Blick auf die schreckliche Wunde zu werfen, die noch immer von Borghoffs abgestellter Laterne erleuchtet wurde. Der Anblick brannte sich in ihr Gedächtnis.
    «Gehen wir», sagte Lina und versuchte, ohne Zittern zu sprechen. «Ich werde morgen auch zu Ihnen kommen.» Sie sah Borghoff direkt ins Gesicht. Er nickte.
    Borghoff blickte ihnen nach, bis Lina und Simon im Nebel verschwanden.
    «Wichtige Familie, die Kaufmeisters?», fragte er Ebel.
    Der nickte. «Sie sind ziemlich reich geworden in den letzten Jahren. Aber einen Mann haben sie der krummen Lina nicht kaufen können.»
    «Krumme Lina?»
    «Na ja, wir haben sie als Kinder so genannt, wenn sie über die Straße hinkte.»
    Borghoff sah zu den Leichen hinüber. «Lassen Sie die Kinder in den Rathauskeller bringen. Und sorgen Sie dafür, dass Doktor Feldhaus gleich morgen die Leichenschau vornimmt.»
    Er beugte sich hinunter, um das Kleid wieder zusammenzulegen. «Dreizehn war die Ältere?»
    «Wenn der Johann Müller recht hat, dann ja.» Ebel wurde bleich. «Alt genug für eine Schwangerschaft, meinen Sie?»
    Borghoff griff nach der Laterne und richtete sich auf. «Weisen Sie den Doktor auf diese Möglichkeit hin, Ebel.»
    Er wandte sich an Thade. «Bleiben Sie hier, bis die Leichen weggebracht worden sind. Das ist doch die Straße nach Meiderich?»
    Thade nickte.
    «Danach können Sie nach Hause gehen. Aber ich brauche Sie morgen wieder hier. Es gibt viel Arbeit. Und Ihr Dorf kommt sicher ein paar Tage ohne Sie aus.»

    Die Fenster des Kaufmeister’schen Hauses in der Carlstraße waren hell erleuchtet, als Simon und Lina dort ankamen. Für einen Moment dachte Lina, dies wäre ihretwegen geschehen, aber dann hörte sie erregte Stimmen aus den Fenstern des kleinen Salons dringen, der zur Straße lag.
    Lina klingelte an dem großen Tor, durch das Kutschen und Fuhrwerke in den Hof fahren konnten. Um diese Zeit war es bereits verschlossen. Kurz darauf öffnete ihr der Hausdiener Heinrich.
    «Ich geh dann jetzt», sagte Simon, der mit seiner Laterne auf der Straße stand. Gerade in diesem Moment erlosch sie.
    «Nein, Simon, du wirst dich erst hier aufwärmen. Ich schreibe dir einen Zettel für deine Herrschaft, damit du keinen Ärger bekommst. Heinrich, nimm den Jungen mit in die Küche. Helene soll ihm etwas Suppe geben und seine Laterne auffüllen.»
    Als sie die eigentliche Haustür öffnete, schallten ihr aus der halbgeöffneten Tür des Salons laute Stimmen entgegen, die zu debattieren schienen. Die eine, höhere Männerstimme gehörte ihrem Bruder Georg, die andere ihrem Schwager Bertram. Zunächst dachte Lina, die beiden hätten geschäftliche Zwistigkeiten. Linas Vater hatte damals

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