Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
an Justus hatte er geholfen und führte an diesem Tag persönlich die Durchsuchung des Schiffes nach Rotterdam durch. Lina hoffte, dass Mina bald Gewissheit haben würde – entweder über die Trennung oder darüber, dass es sich um ein Missverständnis handelte.
Die Schafskälte war in diesem Jahr mit großer Heftigkeit über das nördliche Rheinland hereingebrochen. Am ersten Morgen hatte es sogar Frost gegeben, dann gab es immer dichtere Wolken. Lina war sogar gezwungen, das letzte vorrätige Feuerholz zu verbrauchen, denn abends wurde es empfindlich kühl in ihrem Wohnzimmer. Aber sie machte sich nicht mehr so viele Sorgen wegen des Holzes, seit sie sicher war, dass ihre Näherei sie durchbringen würde.
Trotz der Kälte machte sie sich am Nachmittag erneut auf den Weg zu Cornelius von Sannberg, um wiederum von seinem Kutscher abgewiesen zu werden. Als sie zurückkam, fand sie eine kleine Notiz vor: «Heute nach dem Abendläuten hinter der Kirche. J.» stand darauf. Pater Johannes wollte also mit ihr reden.
Gespannt wartete sie auf das Läuten der Tousenelde, jener Glocke, die der fromme Protestant Franz Haniel der katholischen Gemeinde gestiftet hatte und die nach seiner einzigen Tochter benannt war. «Ich gehe noch einmal aus!», rief Lina Antonie zu, die den Tisch für das Abendessen deckte. Sie hatte ihr warmes Cape aus der Truhe geholt.
Der Weg zur katholischen Kirche war nicht weit. Sie entdeckte den Pater auf einer kleinen Bank hinter einer Hecke. Hier hatte die Pfarrhaushälterin ein paar Küchenkräuter angepflanzt. Pfarrer Mancy war bekannt dafür, dass er gerne und gut aß.
«Sie müssen entschuldigen, liebes Fräulein Kaufmeister, dass ich bei unserer Begegnung neulich so verschlossen gewesen bin. Aber ich musste erst einmal Erkundigungen einholen», begann er, nachdem er sie begrüßt und sie ebenfalls auf der Bank Platz genommen hatte.
«Über mich?», fragte sie amüsiert.
«Nein.» Wie üblich blieb er ernst. «Ich habe einen Brief nach Rom geschrieben. Eigentlich habe ich auch jetzt nicht die Erlaubnis, über diese Dinge zu sprechen, aber ich halte es für wichtig, dass Sie es erfahren. Für den Fall …» Er brach ab.
«Ich habe im Hause Wienhold auch noch etwas gehört, das mich sehr beunruhigt», sagte Lina. Sie schilderte ihm, was sie in Reppenhagens Zimmer belauscht hatte.
Er nickte. «Das passt.»
Eine Weile schwieg er. Dann sagte er, ohne Lina anzusehen: «Von unserem ersten Gespräch weiß ich, dass Sie gelesen haben, was ein Exorzist ist und was er tut.»
«Nun ja …»
«Was Sie nicht wissen konnten und was überhaupt nur wenige wissen – ich bin ein Exorzist. Ich gehöre einer Bruderschaft innerhalb der Heiligen Kirche an, die sich mit nichts anderem als der Austreibung des Bösen beschäftigt. Das ist eine sehr belastende Aufgabe, und manchmal zerbricht ein Priester daran.»
«So wie Sie», sagte Lina leise in sein Schweigen hinein.
«Ja, wie ich. Ich habe es nur schwer ertragen, dass Menschen, die nach unserem modernen Verständnis in eine Irrenanstalt gehört hätten, durch den Ritus geängstigt und gequält wurden, manchmal bis zum Tod. Ich habe aber auch erlebt, dass bei manchen von ihnen eine erhebliche Besserung bis hin zur Heilung eingetreten ist.»
«Und deshalb haben Sie weitergemacht.»
Er schüttelte den Kopf. «Nein. Das war nichts, was ein guter Irrenarzt nicht genauso fertiggebracht hätte. Es ist so, Fräulein Kaufmeister: Es gibt das Böse. Es gibt das Wirken des Teufels unter den Menschen. Und wenn es nicht bekämpft wird, dann breitet es sich aus wie eine böse Seuche.»
Sie sah ihn zweifelnd an. «Ich bestreite nicht, dass es Böses in der Welt gibt. Ich selbst habe schon manches davon gesehen. Aber es ging immer von Menschen aus.»
«Das ist die neueste Täuschung des Feindes. Wir sind so aufgeklärt, dass wir nicht mehr an ihn glauben und er leichtes Spiel hat.» Er lachte rau auf. «Mir selbst sind ja starke Zweifel an meinem Tun gekommen. So starke, dass ich nun hier bin, in der Obhut eines Provinzpfarrers.»
Er wurde wieder ernst und sah sie an. «Der Ritus wurde nicht geschaffen, um Irre zu heilen. Denn es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lassen mag.»
«Sie können also Shakespeare zitieren», sagte Lina spöttisch.
Seine Mundwinkel zogen sich kaum merklich nach oben. «Ich vergaß, dass ich es mit einer sehr gebildeten Frau zu tun habe. Aber ich meine das ganz ernst, Fräulein
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