Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
das tut?»
Lina fand zwar, dass sie Borghoff in letzter Zeit recht häufig um einen Gefallen bat, aber ihre Schwester war ihr wichtiger. «Er kann uns zumindest den besten Weg für einen Brief nennen. Wir werden uns bei Guste treffen.»
Sie wollte noch unbedingt etwas loswerden, bevor Jutta wiederkam. «Was ist mit Finchen geschehen?»
«Davon weißt du?», fragte Mina erstaunt. «Lotte hat sie oben in ihrem gemeinsamen Zimmer gesehen, wie sie versuchte, ihr Bäuchlein abzuschnüren. Sie ist erst im vierten Monat, viel ist ja nicht zu sehen, aber bei einer so zierlichen Person …»
«Und Lotte konnte den Mund nicht halten.»
Mina nickte. «Als es heraus war, konnte Aaltje doch gar nicht anders, als sie aus dem Haus zu werfen.»
Lina wusste, sie hatte recht. Wenn sie noch die Hausfrau in der Carlstraße gewesen wäre, hätte sie das machen müssen. «Aber sie hätte ihr noch etwas Zeit geben und sie noch ein oder zwei Monate Geld verdienen lassen können. Sie ist verschwunden, weißt du das?»
An Minas erstauntem Blick konnte Lina sehen, dass sie keinen weiteren Gedanken mehr an Finchen verschwendet hatte. «Warum sorgst du dich so um eine Dienstbotin?», fragte Mina.
In diesem Moment hätte Lina ihre Schwester, die sie eben noch getröstet hatte, am liebsten geschüttelt.
«Weil sie ein Mensch ist, Mina. Ein ganz entzückendes Mädchen, das mich mit seiner frischen Art oft zum Schmunzeln gebracht hat. Weil ich sie nicht in Not wissen möchte.»
«Du redest schon wie Justus», sagte Mina leise. «Der hatte auch immer für alles Verständnis, was die Arbeiter und die Armen betraf.»
«In Brüssel gehörtest du auch zu ihnen, vergiss das nicht, Mina.»
So endete Juttas wunderbare Überraschung im Streit. Lina verfluchte ihre spitze Zunge, aber auch Minas Snobismus, der sich nach ihrer Rückkehr ins reiche Elternhaus schnell wieder eingestellt hatte. Lina, die sich im Hause des Vaters ja selbst als eine halbe Dienstbotin gefühlt und aufgrund ihres Gebrechens die Nase nie so hoch wie ihre Zwillingsschwester getragen hatte, waren die Menschen in ihrer Nähe wichtig, gleich, ob sie Dienstboten oder Verwandte waren. Für sie gehörten sie zur Familie, auch wenn sie die nötige Distanz wahrte.
Die Schwestern waren beide erleichtert, als Jutta wieder zurück in den Salon kam und sich Mina dann bald verabschiedete.
Wie auch schon in den letzten Tagen, seit sie in das Haus der Wienholds zurückgekehrt war, verschmähte Lina den Schlaftrunk, den ihr das Hausmädchen gebracht hatte. Sie traute sich nicht, die helle Flüssigkeit in den Toiletteneimer zu gießen, schließlich hatte sie die Wienhold’schen Dienstboten alle bei der Zeremonie im Keller gesehen. Also mussten die armen Zimmerpflanzen daran glauben, die am Fenster des Damensalons standen und schon jetzt ein wenig kränklich aussahen.
Sie war sich inzwischen sicher, dass die Milch, obwohl sie immer recht gut geschmeckt hatte nach viel süßem Honig, der hineingerührt worden war, irgendein Schlafpulver enthielt, das sie so tief und lange hatte schlafen lassen.
Als sie sich in dieser letzten Nacht aus dem Damensalon schlich, hörte sie vom anderen Ende des Flures laute Stimmen. Dort lag das schönste der Gästezimmer, das sie bei ihrem ersten Aufenthalt bewohnt hatte und in dem nun Reppenhagen schlief.
Ihr war klar, dass es besser gewesen wäre, wenn sie kehrtgemacht und in ihr Zimmer gegangen wäre, aber die Neugier war stärker. So näherte sie sich vorsichtig der Tür.
Schon in einiger Entfernung verstand sie jedes Wort. So blieb sie an der Tür zu der kleinen Wäschekammer stehen, die sie öffnete, um jederzeit dort verschwinden zu können.
«Es geht nicht schnell genug voran, Werner! Die Städte hier wachsen in großem Tempo, und wir müssen noch schneller wachsen, um unsere Ziele zu erreichen.» Das war die Stimme Reppenhagens, hart, rau und unfreundlich.
«Aber das birgt Gefahren, Donatus. Wir müssen uns jedes Einzelnen sicher sein, bevor wir ihn einweihen. Deshalb begrüße ich es, wenn wir uns anderer, weltlicher Methoden bedienen, um unsere Macht auszudehnen. In gute Geschäfte investieren, Abhängigkeiten schaffen …»
«Du vergisst, was das Wichtigste ist.»
Lina erschauderte. Das war die Stimme der Priesterin.
«Es gibt keine weltliche Macht ohne die Loge. Bedenke, woher deine Macht und dein Reichtum stammen.»
«Ich verstehe deinen Standpunkt. Aber die Loge ist ein geheimer Orden. Wir haben es dahin gebracht, wo wir stehen, weil
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