Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
nachempfunden war, dem aber Linas Änderungsvorschläge weit mehr Eleganz und Glanz verliehen, kam Jutta zu ihr. «Ich habe einen Gast für dich, meine Liebe», sagte sie mit einem verschwörerischen Lächeln. Dann öffnete sie die Tür des Damensalons ganz, und neben ihr stand – Mina.
«Ich fand euch beide so entzückend am Silvesterabend mit euren gleich frisierten Haaren und der unglaublichen Ähnlichkeit, dass ich mir dachte, ich lade Frau Bleibtreu auch einmal ein, um mich wieder daran zu erfreuen.»
Lina war so überrascht, dass sie die Nähnadel tief in den Finger trieb. «Autsch», rief sie, während schon das Blut tropfte. Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Rocktasche und wickelte es um den Finger, stand dann endlich auf, um ihre Schwester zu begrüßen.
Die beiden hatten sich lange nicht gesehen, Mina hatte auch Besuche bei Guste ausgeschlagen, um den Bruder nicht zu verärgern.
Bald war ein reges Gespräch im Gange, bei dem Jutta meist zuhörte. Lina wusste, Jutta hatte ihr eine Freude machen wollen, da sie die schwierigen Umstände kannte. Und sie freute sich wirklich sehr, gleichzeitig war sie aber wenig glücklich darüber, dass Mina nun auch in dieses Haus kam.
Sie schüttelte diese Gedanken ab, begierig zu hören, was zu Hause passiert war, doch sie wagte nicht, vor Jutta über Finchen zu reden.
«Guste vermutet, Aaltje ist schwanger.»
«Damit hat sie recht. Sie hat es mir inzwischen gestanden. Sie sagt, es sei der dritte Monat.»
Lina seufzte. «Da haben sie sich wieder viel zu wenig Zeit gelassen.»
«Ach, lass uns nicht über Aaltje reden. Zeig mir lieber, was du genäht hast. Man erzählt ja wahre Wunderdinge über dich und dass du jetzt nach eigenen Entwürfen arbeitest.»
Sehnsüchtig sah Mina Juttas viele Kleider an – die, die Lina gemacht hatte, und die anderen. «Ich werde vieles aussortieren, liebe Mina.» Auch sie war mit Jutta jetzt per du. «Alles Kleider, die ich noch nie in Ruhrort getragen habe. Wie wäre es, möchtest du sie haben?»
Minas Augen begannen zu leuchten.
«Wir könnten sie zu Guste bringen, und ich ändere sie dir.» Mina war nur wenig kleiner als Jutta, aber um einiges dünner.
«Das ist so großzügig, das kann ich gar nicht annehmen», sagte Mina leise, aber Lina kannte den Blick in ihren Augen. Sie würde niemals auf dieses Geschenk verzichten wollen.
«Schnickschnack», sagte Jutta daraufhin auch nur. «Ich werde die Mädchen alles einpacken und es zu eurer Schwester bringen lassen. Wir sind ohnehin nächste Woche dort eingeladen, weil Ernst von Müller und vielleicht auch mein Mann in dieses Geschäft einsteigen wollen, das unser lieber Freund Cornelius ausgeschlagen hat.»
Linas Herz begann zu klopfen. Ihr Bruder und ihr Schwager wollten nun mit diesen Leute Geschäfte machen? In Gedanken sah sie auch sie an einer düsteren Zeremonie im Gewölbe teilnehmen. Sollte sie ihnen erzählen, was sie gesehen hatte? Wieder kam ihr Pater Johannes’ Warnung in den Sinn. Nein, sie konnte nicht darüber reden. Aber vielleicht könnte sie Cornelius von Sannberg davon überzeugen, doch wieder mit den Brüdern zusammenzuarbeiten. Sie dachte an Gustes Bitte, mit ihm zu sprechen. Ja, sie würde es tun, sobald sie wieder zu Hause war.
Jutta gab vor, nach Annette sehen zu wollen, und verschaffte so den Schwestern Gelegenheit, noch ein vertrauliches Gespräch zu führen.
«Ich habe über Bekannte Nachricht von Justus bekommen», erzählte Mina ihr.
«Einen Brief?»
«Nein.» Mina sah weg, aber wie immer fühlte Lina genau, was in ihrem Zwilling vorging. «Sie haben ihn in London getroffen, es ging ihm nicht sehr gut. Er spart sich jeden Pfennig vom Mund ab.»
«Aber das ist doch gut. Dann hat er sicher bald das Geld zusammen, euch nach London zu holen.»
Mina schüttelte den Kopf, Tränen stiegen in ihre Augen. «Er … er spart auf die Passage nach Neu York.»
«Was?»
«Ja», schluchzte Mina. «Und er war in Begleitung einer Frau. In der Kaschemme, wo sie waren, wurde sie mit Mrs. Bleibtreu angeredet. Unsere Bekannten dachten, wir seien geschieden, stell dir das vor!»
«Du musst ihm schreiben, Mina, Geheimpolizei hin oder her.» Sie hielt ihre Schwester im Arm und nahm das Taschentuch mit dem Blutfleck, um ihr die Tränen abzuwischen. «Wir sollten Jutta nichts merken lassen.»
«Aber sie ist doch sehr nett.»
«Ja. Aber das ist eine Familienangelegenheit. Ich werde Commissar Borghoff bitten, uns zu helfen mit dem Brief.»
«Glaubst du, dass er
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