Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
man seine gesamte Liebe und Hochachtung darin.
Sie schloss die Tür hinter ihm und ging zurück in den Salon. Die Köchin hatte inzwischen Kaffee gebracht und auf das Buffet gestellt. Lina beschloss, ihn selbst einzugießen. Guste und Aaltje saßen jetzt auf dem Sofa, ein kleines Grüppchen Gäste hockte noch am Tisch und debattierte mit Georg über die Vorteile des neuen Hebeturms.
Während Lina die Tassen füllte, stand plötzlich Herr von Sannberg hinter ihr. «Es muss schwer sein, als Frau mit so viel Geist ausgestattet zu sein, Fräulein Kaufmeister.»
«Schließen Sie das aus den Widerworten, die ich meinem Bruder gab?», fragte sie spöttisch.
Er lachte. «Nein, aber man hört so einiges über Sie. Dass Sie Leihbücher verschlingen, zum Beispiel.»
«Ja, ich lese sehr gern.» Lina sah nicht auf von den Tassen.
«Ich habe den größten Teil meiner Bibliothek hier in Ruhrort. Das Gut ist ein zu altes Gemäuer, da hatte ich Angst, dass sie mir verschimmeln.»
Jetzt sah Lina ihn an. «Ich mag zwar allein mit einem Hausknecht abends unterwegs sein, aber einen alleinstehenden Herrn zu besuchen – gleich, zu welcher Tageszeit –, werde ich mich hüten. Da mögen die Bücher noch so verlockend sein.»
«Nun, Sie könnten meine Töchter besuchen, die bald für ein paar Wochen herkommen.»
«Sie sind Vater?», fragte Lina verblüfft.
«Ich bin fast sechzig. Ist das so ungewöhnlich?»
«Nun, ich dachte …»
«Sie dachten, der verrückte Kerl muss ein Junggeselle sein.»
«Ich dachte, Herr von Sannberg muss ein Junggeselle sein, weil ich nie von einer Frau von Sannberg gehört habe.» Lina sah zu Guste hinüber, die sie beide beobachtet hatte. Jetzt stand ihre Schwester auf und nahm die gefüllten Kaffeetassen von der Anrichte, die Lina nie ohne etwas zu verschütten an den Tisch gebracht hätte.
«Meine Frau und ich haben uns schon vor über zwölf Jahren scheiden lassen. Wir konnten nicht zusammenleben. Ich bin nie sehr lange an einem Ort, und mit zwei kleinen Kindern ist das Reisen sehr beschwerlich. Meine Töchter sind jetzt vierzehn und fünfzehn, junge Damen. Ich fürchte, sie werden sich hier in Ruhrort sehr langweilen, denn ihre Mutter lebt in Berlin. Deshalb wäre es gut, wenn sie hier ein paar Leute in ihrem Alter kennenlernten.»
Lina lachte laut heraus. «Ich bin mit fünfunddreißig Jahren keineswegs im Alter Ihrer Töchter. Glauben Sie, eine alte Jungfer sei der richtige Umgang für Ihre Mädchen?»
«Ich glaube, dass eine kluge Frau wie Sie genau der richtige Umgang für die beiden ist. Ihre Mutter legt darauf nämlich gar keinen Wert, und das finde ich sehr bedauerlich, zumal die Mädchen alles andere als dumm sind.»
Es schien ihn aufrichtig zu bekümmern, aber Lina war in der Stimmung, ihrem Sarkasmus freien Lauf zu lassen. «Ihre Frau macht das schon ganz richtig, Herr von Sannberg. Wissen Sie, wenn ich nur eine steife Hüfte hätte, hätte man mich noch gut unter die Haube bringen können. Aber Klugheit treibt jeden Heiratskandidaten aus dem Haus.»
Sie sah in von Sannbergs erstauntes Gesicht und fügte dann versöhnlich hinzu: «Ich werde Sie und Ihre Töchter besuchen, Herr von Sannberg, wenn es die Pflege meines Vaters zulässt. Vielleicht kann ich ja als abschreckendes Beispiel dienen.»
Damit ging sie zu den anderen an den Tisch. Von Sannberg blieb merkwürdig still, bis er sich verabschiedete. Die ganze Zeit fühlte Lina sich von ihm beobachtet.
Etwa eine Stunde später brachen von Sannberg und die von Eickens auf, auch Bertram und Guste verabschiedeten sich. Während Lotte und Finchen, die kaum noch die Augen offen halten konnte, Tisch und Anrichte abräumten, um dann in der Küche gemeinsam mit Helene das letzte Geschirr und die Gläser abzuwaschen, baute sich Georg vor Lina auf.
«Man sollte nicht glauben, dass du eine Höhere-Töchter-Schule und das Lehrerinnenseminar besucht hast. Du solltest eigentlich wissen, dass du deinem Bruder Respekt schuldest, wenn er dich zu Recht tadelt.»
«Und du, lieber Bruder, solltest wissen, dass, gleichgültig, wie sehr du glaubst, im Recht zu sein, es sich keinesfalls gehört, mich vor anderen zurechtzuweisen.»
«Du hättest dich sittsam zu den Frauen setzen müssen.»
«Vater brauchte mich …»
Georg wurde laut: «Eine Frau hat zu schweigen, wenn Männer sich unterhalten. Sie versteht ohnehin nichts von dem, worüber wir reden.»
«Hast du die Leichen gefunden oder ich?»
«Du hast doch gemerkt, dass es dem
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