Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
Vom Netzwerk:
aber besonders vor der Polizei in Acht nehmen. In der unübersichtlichen Altstadt, in der es ohnehin mehr Sünde als Tugenden gab, konnte man sie vielleicht dulden, in der Neustadt wurde sie zum Ärgernis, vor allem wenn sie auch dort, wohin ein gewöhnliches Hochwasser nicht kam, die Leute mit ihrem Geschrei weckte.
    An diesem Vormittag war sie Ebel über den Weg gelaufen, der sie gleich des Quartiers verwiesen hatte und ihr einen Tag im Rathausgewahrsam angedroht hatte.
    Missmutig brabbelnd war sie Richtung Mühlenweide gezogen, verkündete, dass sie nach dem Rhein sehen wolle, und musste feststellen, dass er schon auf der Weide, auf der man längst Kohlenlager errichtet hatte, stand. Sie schimpfte über das Eisenbahnbassin, dessen Ausbaggerung aus der Mühlenweide eine schmale Landzunge gemacht hatte. Für sie war dies der Grund für die Überschwemmung. Kätt kletterte den Damm hoch, um vor dem Wasser sicher zu sein.
    Als sie dort oben bei der verlassenen Baustelle des Hebeturms angelangt war, betrachtete sie die Veränderungen, die das neue Bauwerk mit sich gebracht hatte. Ganz in sich versunken stand sie da – sie konnte stundenlang auf das Wasser starren, ohne sich zu rühren. Doch jetzt schreckte sie zusammen. Ihr Herz begann wild zu schlagen, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Aber das waren keine Tränen der Trauer. Sie weinte vor Freude und Aufregung. Langsam kletterte sie ein Stück den Damm hinunter zur Baustelle.
    Zwischen dem Ufer und der hölzernen Spundwand des Turms schwamm etwas Kleines, Winziges. Ein Kopf, Arme, Beine, alles war bläulich-grau angelaufen. Kätt hatte große Mühe, danach zu greifen, und verlor fast das Gleichgewicht. Nur mit einer Hand gestützt, in der anderen ihren glitschigen Fund, stieg sie vorsichtig wieder hinauf. Oben ließ sie sich erschöpft fallen, das kleine Etwas legte sie vorsichtig in ihren Schoß.
    «Mein kleines Mädchen, mein kleines Mädchen …», flüsterte sie. Der Rhein hatte ihr das Kind genommen, und nun gab er es ihr wieder zurück, nach so vielen Jahren. Sie wiegte es hin und her und hielt dann inne, um den kleinen Körper genau zu betrachten. Ihre Augen weiteten sich entsetzt. «Was haben sie nur mit dir gemacht? Was haben diese Teufel mit dir gemacht?»

    Am Morgen des 28. Novembers war Lina wie alle Bewohner der Carlstraße durch das Geschrei der verrückten Kätt wach geworden. Heute war der große Tag, und Lina beschloss, zeitig aufzustehen. Heute würden, wenn alles gutging, Mina und die Jungen eintreffen. Mina hatte in ihrem letzten Brief noch nicht sagen können, mit welchem Zug sie Ruhrort erreichen würde, und so hatte Lina beschlossen, wenn nötig mehrmals zum Bahnhof zu fahren. Sie wollte es sich nicht nehmen lassen, ihre Schwester persönlich zu begrüßen.
    Es wäre einfacher gewesen, Mina hätte die linksrheinische Eisenbahn von Aachen nehmen können, doch seit Tagen drohte Hochwasser, und es bestand die Gefahr, dass die Roskath’sche Fähre zwischen Homberg und Ruhrort und auch der Trajektbetrieb über die schiefe Ebene eingestellt würden. Deshalb würde Mina das beschwerliche Umsteigen von Cöln nach Deutz auf sich nehmen und dann in Oberhausen nochmals in den Zug nach Ruhrort wechseln müssen.
    Lina hatte sich sehr beeilt, den Vater zu versorgen, und dann noch einmal das Gästezimmer, in dem Mina nun wohnen sollte, und die Dachkammer der Jungen überprüft. Die neuen Betten, die sie beim Tischler bestellt hatte, waren noch nicht fertig. Sie hoffte, die Jungen konnten eine Weile gemeinsam in dem breiten alten Bett schlafen.
    Um zwölf kam Georg zum Mittagessen nach Hause. Er wirkte sehr missmutig. «Das Wasser steht in der Altstadt.»
    Hochwasser war immer eine Bedrohung für Ruhrort. Zwar waren die Häuser der Neustadt sicherer als die der Altstadt, da diese jedes Mal überschwemmt wurde, doch die Störungen des Schiffsverkehrs und des Hafenbetriebs reichten schon, um wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Und jetzt war auch noch die Baustelle des Hebeturms betroffen, wo sich die Arbeiten ja ohnehin schon so sehr verzögert hatten.
    «Die Maurer haben vorgestern erst mit dem Ausmauern der Wände des Turms begonnen, und jetzt müssen sie die Arbeiten wieder einstellen.»
    Lina hütete sich, ihren Bruder daran zu erinnern, dass sie schon vor drei Wochen gesagt hatte, es wäre besser gewesen, mit dem Baubeginn bis zum Frühjahr zu warten. Den Fundamentsockel hatte man zwar fertig gegossen, aber wegen des einsetzenden Frostes musste

Weitere Kostenlose Bücher