Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Mitte prunkte eine herrliche silberne Obstschale, die Aaltje mit Apfelsinen, Äpfeln, Birnen, Feigen und Nüssen gefüllt hatte. Kleine silberne Schalen mit Knabbereien, wie kandiertem Kalmus, farbigem Zuckerschaum und gebrannten Mandeln, verzierten die Tafel zusätzlich. Lina musste zugeben, dass diese winterliche Dekoration sehr gelungen war.
Zu jeder Seite der Obstschale standen die gleichen Speisen, Schüsseln mit den Salaten und Platten mit den Schinkenschnittchen und den verschiedenen Braten. Der Kuchen hatte auf dem Buffet Platz gefunden. Auf einem Seitentischchen waren bereits die Suppenteller aufgebaut. In der Küche röstete die Köchin gerade Weißbrotscheiben, auf die dann die Eidotter gegeben wurden. Helene wollte die Suppe höchstpersönlich am Seitentisch anrichten und jedes Ei frisch aufschlagen.
Therese und Lotte hatten sich frische Schürzen umgebunden, um nun bei Tisch zu servieren. Heinrich trug eine andere Weste, er sollte sich um den Wein und den Champagner kümmern.
«Ich glaube, sie kommen», sagte Lina, die ein gutes Gehör hatte. «Heinrich, rasch, der Champagner.»
Nach dem Essen hatte Georg tatsächlich seinen Vater zu der munteren Gesellschaft heruntergebracht. Lina platzierte ihn in einem Sessel und ließ sich auf eine der Armlehnen nieder. Die Damen des Hauses hatten mit den Gästen am Tisch gesessen. Nun verteilten sich die Herren in dem großen Salon, ein paar blieben am Tisch sitzen, ein Grüppchen stand am anderen Ende und unterhielt sich. Die älteren Herren hatten es sich auf dem Sofa bequem gemacht. Franz Haniel war sichtlich gerührt, seinen alten Freund und Nachbarn Josef Kaufmeister wiederzusehen. Auch Baron von Sannberg saß bei Linas Vater.
«Nun ist es also so weit, der Turm wird endlich gebaut.» Alle nickten dem alten Kaufmeister zu, obwohl Lina sicher war, dass nur sie wirklich verstanden hatte, was er gesagt hatte. Ab und an wischte sie ihm die Mundwinkel.
«Das Frachtaufkommen wird sich mindestens verdoppeln, meine Herren, darauf wette ich.» Bürgermeister Weinhagen gesellte sich auch dazu. Lina hatte den Eindruck, als suche er die Nähe von Herren von Sannberg. «Es wird sich lohnen, neue Betriebe hier anzusiedeln.»
Franz Haniel lehnte sich zurück. «Im Moment brauchen wir einfach mehr Kohle, und direkt in Ruhrort werden wir sie nicht finden.»
«Wo werden Sie bohren, Onkel Franz?» Lina und ihre Geschwister hatten ihn schon als Kinder Onkel genannt und das bis heute beibehalten.
«Ich denke, wir versuchen es auf der anderen Rheinseite. Aber wenn wir da fündig werden, wird das Trajekt noch wichtiger werden als jetzt schon. Die großen Betriebe liegen auf unserer Seite des Flusses.»
«Und Sie, Herr von Sannberg? Reizt Sie das alles nicht zu neuen Projekten?», fragte der Bürgermeister unvermittelt.
Lina wunderte sich über Weinhagen. Glaubte er im Ernst, der Baron würde hier offen über seine Pläne plaudern?
Von Sannberg lächelte charmant. «Ich habe viele gute Ideen, mein lieber Weinhagen. Und Ruhrort steht noch immer auf meiner Liste.»
Lina wusste, dass sich von Sannberg in den vergangenen Wochen öfter mit Georg und Bertram getroffen hatte. Sie hatte Georg nicht entlocken können, was sie gemeinsam planten. Aber dem Baron standen zumindest gerüchteweise fast unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Wer ihn zur Zusammenarbeit gewann, konnte sich des Erfolges sicher sein.
«Ich hörte, Sie planen ein Gussstahlwerk.» Franz Haniel lächelte milde, als er das sagte. Allen musste klar sein, dass man solche Pläne vor ihm nicht geheim halten konnte.
«Gussstahl … nun, vielleicht. Mit dem Eisen aus Ihrer Gute-Hoffnungs-Hütte in Sterkrade und dem neuen Phoenix-Werk hier … warum nicht?»
Lina sah von Sannberg aufmerksam an, und ihre Blicke trafen sich kurz. Er hat noch einen Trumpf im Ärmel , dachte sie. Georg, der in der Nähe saß und mit Bertram und Gerhard von Eicken in eine angeregte Unterhaltung vertieft war, schien plötzlich nervös zu werden. Er drehte sich zu der Gruppe auf dem Sofa um.
«Gibt es eigentlich etwas Neues von diesen schrecklichen Morden?», fragte von Sannberg Weinhagen. Dieser zuckte zusammen. An einem solchen Tag daran erinnert zu werden, war ihm sehr unangenehm.
«Ich wurde ja verdächtigt», sagte von Sannberg mit einem süffisanten Lächeln. «Ihr wackerer Commissar hat meine Kutsche inspiziert, weil er Blut darin gefunden hatte.»
Weinhagen wurde bleich. «Wir vermuten den Mörder auf einem Rheinschiff auf dem
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