Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Bürgermeister peinlich war, darüber zu reden. Weil seine Polizei den Schiffer nicht festnehmen konnte …»
«Nein, nicht deswegen», sagte Lina ruhig. «Ihm ist klar, dass ich von der Kutsche weiß. Die Mädchen wurden aus einem schwarzen, geschlossenen Zweispänner geworfen, und es hat in der Nacht kein solcher Ruhrort verlassen. Überleg dir, was das bedeutet. Und warum Commissar Borghoff das Blut in Herrn von Sannbergs Kutsche interessiert hat.»
Georg beugte sich zu Lina hinunter: «Lina, ich verbiete dir, weiter darüber zu reden. Von Sannberg jetzt zu vertreiben, könnte fatale Folgen haben. Für Ruhrort und auch für uns.»
«Ich habe ja nicht gesagt, dass es von Sannberg war. Wenn der Commissar seine Erklärung zufriedenstellend fand, wird es gut sein. Aber es bedeutet immer noch, dass jemand, der einen solchen Zweispänner fährt …»
«Lina, jeder unserer Gäste hat eine solche Kutsche.»
«Eben, Georg, eben.»
«Du wirst keinen Ton mehr darüber sagen. Haben wir uns verstanden?»
Lina ging wortlos zur Tür.
«Lina!», brüllte er, und Aaltje zuckte zusammen, aber Lina drehte sich betont langsam um.
«Ich bin müde, Georg. Und jede Frau hier einschließlich des Dienstpersonals ist müde. Wir haben in weniger als zwei Stunden einen gutgedeckten Tisch hergerichtet, um deine Laune, auf die Ruhrorter Honoratioren Eindruck zu machen, zu befriedigen. Und es hat nicht ein Wort des Dankes von dir gegeben.»
«Du bist die Hausfrau hier, Lina.» Lina sah, dass Aaltje die Augen niederschlug. «Das kann ich doch wohl von dir erwarten. Zu irgendetwas müssen die teuren Schulen ja getaugt haben.»
Lina gelang es, ruhig zu antworten. «Ich gehe zu Bett, Georg. Und morgen erwarte ich eine Entschuldigung von dir, sonst kann sich deine Frau eine Weile um den Haushalt kümmern.»
Aaltjes Kopf ging ruckartig hoch, ihre Augen waren angstgeweitet. Lina glaubte zunächst, dass es wegen ihrer Drohung war, aber dann wurde ihr klar, dass Aaltje Angst vor Georg hatte. Sie hatte ihn bis aufs Blut gereizt, und nun fürchtete seine Frau, dass er es an ihr auslassen würde. Sie wunderte sich selbst über sich, aber Aaltje tat ihr tatsächlich leid.
Noch schien Georg nicht in der Lage zu antworten, und sie nutzte das, um das Zimmer zu verlassen. Hinter ihr knallte etwas an die Tür und zerbarst klirrend. «Wage bloß nicht, mir heute noch unter die Augen zu kommen, Lina!», schrie Georg.
Finchen, die gerade das letzte Geschirr holen wollte, stand wie erstarrt im Flur.
«Den Rest kannst du morgen früh holen und abwaschen», sagte Lina zu ihr. Falls etwas übrig ist , dachte sie sich.
Drinnen tobte Georg weiter, es klirrte und polterte. Sie bedauerte, dass sie Aaltje nicht aus dem Salon holen konnte. Dann besann sie sich. Jeden Moment konnte ihr Bruder zumindest so weit zu Verstand kommen, dass er hinter ihr herkam, statt hinter der geschlossenen Tür das Zimmer zu demolieren. Ihre Beine waren müde, ihre Hüfte schmerzte, trotzdem ging Lina so schnell sie konnte die Treppe hinauf. Oben horchte sie kurz an der Tür ihres Vaters, dort war aber alles ruhig. Georgs Gebrüll wurde lauter, die Salontür hatte sich geöffnet.
Blitzschnell verschwand Lina hinter ihrer Zimmertür, die Hand am Schlüssel, um schnell absperren zu können.
«Was stehst du hier herum, du dumme Gans!», hörte sie ihn schreien. Lina schloss die Augen. Finchen war nicht rechtzeitig verschwunden. Doch was immer jetzt dort unten passiert war, es schien ihn etwas abgekühlt zu haben. Sie hörte seine raschen und Aaltjes schwerfällige Schritte auf der Treppe in den zweiten Stock, bevor sie in ihrem Schlafzimmer verschwanden.
Sie traute sich nicht, noch einmal hinunterzugehen, da er ihre Schritte in jedem Fall erkannt hätte. Kurz darauf klopfte es leise an ihre Tür. Es war Finchen.
«Ich wollte Ihnen noch mit den Schuhen helfen.»
Sie hatte geweint, ihre Wange war geschwollen, und ihre Lippe blutete.
«Mein Gott, Finchen, das tut mir so leid …»
Lina nahm ein Taschentuch aus der Kommode und tauchte es in das Waschwasser, das Finchen bereits am Nachmittag aufgefüllt hatte.
«Setz dich, Finchen. Da, aufs Bett.»
Lina wischte vorsichtig das Blut ab und besah sich die Wunde. Finchen zuckte nicht einmal. «Das sieht schlimmer aus, als es ist», sagte sie. «In ein paar Tagen sieht man das gar nicht mehr. Du bist nicht zum ersten Mal geschlagen worden, oder?»
«Zum ersten Mal, seit ich hier bin.» Das klang bitter, so als habe der Dienst im
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