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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
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Hause Kaufmeister, den sie trotz der schweren Arbeit mit viel Freude tat, seinen Zauber verloren. Lina verstand: der sichere Ort war unsicher geworden.
    «Ich werde alles tun, damit das nicht wieder passiert», sagte Lina, obwohl ihr klar war, dass das nur leere Worte waren und dass Finchen das wusste.
    «Ich bin müde.» Finchen starrte auf den Boden. «Darf ich Ihnen jetzt die Schuhe ausziehen?»
    «Sicher.»
    Die Kleine kniete sich hin, schnürte die Schuhe auf und zog sie von Linas Füßen.
    «Danke», sagte Lina. Sie stand vom Bett auf und hinkte zur Waschkommode, tauchte das Taschentuch noch einmal ins Wasser, um das Blut herauszuwaschen. Dann gab sie es Finchen. «Du darfst das Taschentuch behalten.»
    «Danke, Fräulein Lina.» Finchen hielt sich das feuchte Tuch an die brennende Wange und ging hinaus.
    Lina begann, sich langsam auszukleiden. Kluge Lina , dachte sie. So klug, zu vergessen, wie jähzornig der Bruder werden konnte . Es war schon lange her, dass er seine Schwestern geschlagen hatte, und damals war es auch eher Mina gewesen. Auf Lina, die Verkrüppelte, hatte er mehr Rücksicht genommen. Lina fragte sich, wie oft Aaltjes Kleider blaue Flecken auf dem mächtigen Körper verdeckten. Aber Aaltje würde niemals wagen, ihrem Mann zu widersprechen.
    Lina kam wieder das Papier in den Sinn, das der Vater für sie unterzeichnen sollte. Wenn der Vater tot war, würde niemand Georg daran hindern, auch sie zu schlagen, wann immer ihm danach war. Sie musste fort aus diesem Haus, koste es, was es wolle.
    Vom Nebenzimmer her klopfte jemand an die Wand. Der Vater war wach. Lina seufzte und warf sich ihren Morgenmantel über. Sie war schon an der Tür, da fiel ihr das Papier wieder ein. Sie nahm es aus der Mappe, die auf ihrem Nachttisch lag, und ging hinüber.

4. Kapitel
    Jeder in Ruhrort kannte die verrückte Kätt. Sie war einmal eine Hure von fast legendärer Schönheit gewesen, aber die Zeiten, dass ein Mann für sie bezahlt hätte, waren lange vorbei. Schon damals hatte sie das meiste, was sie verdiente, zu den Dönbänken getragen, wo Kleinhändler Branntwein ausschenkten. Als der billige Branntwein aus der Schönheit mit der weißen Haut und dem blonden Haar eine rotgesichtige Vettel gemacht hatte, waren ihre Freier nicht mehr so spendabel. Aber endgültig bergab gegangen war es mit ihr, als ihr Kind im Säuglingsalter ertrank. Manche sagten, sie habe es in den Hafen fallen lassen, aber es gab auch etliche andere Geschichten. Kätt wurde buchstäblich über Nacht verrückt und verbrachte seitdem die meiste Zeit damit, im Hafen oder am Rhein auf das Wasser zu starren, immer in der Hoffnung, ihr Kind würde wieder auftauchen.
    Seit damals, und das war mehr als zehn Jahre her, stromerte sie durch die Gassen und bettelte, manchmal wischte sie auch für ein paar Gläser Branntwein das Erbrochene der Besoffenen auf. Sie ekelte sich nicht. Sie fühlte nichts mehr. Den Mund voller brauner Stummel, in dreckigen, zerlumpten Kleidern, die Augen wässrig hinter geröteten Lidern und die Nase rot geschwollen und zerfurcht, streckte sie jedem bittend ihre Hand entgegen, unverständliches Zeug brabbelnd. Und sie wurde geduldet. Zwar versuchte Sergeant Ebel hin und wieder, sie wegen Bettelns hinter Gitter zu bringen, aber dann gab es immer jemanden, angefangen bei der dicken Martha, der bezeugte, dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen könne, und sie entging Gefängnis und Arbeitshaus. Es war, als hielte ganz Ruhrort die Hand über sie, obwohl keiner näher mit der stinkenden, betrunkenen Bettlerin zu tun haben wollte.
    Wenn das Hochwasser kam, wenn es endgültig in die Altstadt hineinschwappte, war es meist Kätt, die es als Erste entdeckte. Sie stand am Ufer und beobachtete ihren Feind, den Rhein. Auch diesmal, im ersten Morgengrauen des 28. Novembers, als Ruhrort gerade erwachte, war es ihre heisere Stimme, die durch die Gassen hallte und auch den Letzten aufweckte: «Das Wasser kommt, das Wasser kommt!»
    Noch waren es nur Rinnsale an ausgesuchten Stellen, kleine Bäche in den zum Wasser hin gelegenen Straßen, doch bald würde es sich überall ausbreiten, steigen, in die Häuser laufen.
    Wenn die Altstadtstraßen von ihrem persönlichen Feind eingenommen waren, begab sich Kätt in ungewohnte Gefilde. Für die Tage des Hochwassers wurde die Neustadt ihr Revier, und sie ließ sich sogar bei den Pfarrern sehen, war jeweils katholisch oder evangelisch, um etwas zu essen zu bekommen.
    In dieser Zeit musste sie sich

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