Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
sehr ähnlich. Kostet er nicht acht Pfennige?»
Clara Dahlmann gab schnell auf. Mit Lina Kaufmeister konnte man nicht handeln. Scharfsinnig und scharfzüngig wie sie war, zog bei ihr jeder den Kürzeren. «Gut. Lassen wir es bei zehn Pfennigen.» Sie holte den Maßstab und ihre Schere. «Weil Sie es sind, Fräulein Lina.»
«Schön.» Lina lächelte Luise an. «Dann könnten wir noch etwas Blusenstoff nehmen.»
Clara sah, wie Luise kaum merklich zusammenzuckte. «Ach, Lina, ich denke, der graue Stoff wird für ein Kleid doch reichen …»
«Wir nehmen noch vier Ellen von dem weißen dünnen Kattun für zwei Groschen.»
«Vier Ellen?», stieß Luise hervor. Dann errötete sie. «So viel Geld habe ich nicht bei mir …»
Bevor Clara etwas von Anschreiben sagen konnte, fiel Lina ihr ins Wort: «Ich lege es für dich aus.» Sie runzelte einen Moment die Stirn und hinkte dann zu dem Wandregal mit den feinen dunklen Stoffen. Sie befühlte einen grauen Seidenstoff. «Dann können wir auch noch zwei Ellen hiervon nehmen.»
«Aber …»
«Der ist für mich, Liebes.»
Clara Dahlmann hatte begonnen, die ausgesuchten Stoffe abzumessen und zu schneiden. «Wie viel von dem Duisburger Grauen?», fragte sie.
«20 Ellen.» Lina sagte das so bestimmt, dass Luise nicht zu protestieren wagte. «Kann Wilhelm es morgen zur Höheren Töchterschule liefern?»
«Sicher. Brauchen Sie noch Garn?»
Lina schüttelte den Kopf. «Davon ist noch genug da.»
Wie auch nicht , dachte Clara, wenn Luise immer nur Grau und Schwarz trug .
Lina griff nach ihrer Geldbörse in ihrem Täschchen. Rasch zählte sie drei Thaler und acht Groschen ab, die Clara hinter der Theke verschwinden ließ. Ganz so schlecht war das Geschäft heute doch nicht gewesen.
Als Wilhelm die Schirme, Mäntel und Hüte brachte, griff Lina nach ihrem Stock. Kurz darauf waren sie und ihre Freundin auf dem Weg in die Altstadt, wo Luise bei ihrer Tante wohnte. Schicklich war das für eine ehrbare Lehrerin nicht, denn die verwinkelten und verbauten Gassen der Altstadt mit ihren vielen Schifferkneipen und Absteigen galten als Sündenpfuhl schlechthin, ganz abgesehen von den schlechten hygienischen Verhältnissen dort. «Tönnekesdrieter» schimpften die Meidericher Bauern, deren Dorf zur Bürgermeisterei Ruhrort gehörte, die Städter, weil dort die Fäkalien in kleinen Tonnen abtransportiert wurden – wenn sie nicht verbotenerweise im nahen Hafenbecken landeten. So hatten sich in den letzten fünfzig Jahren die meisten Bürger, die es sich leisten konnten oder kein Geschäft in der Altstadt betrieben, in der Neustadt mit ihrem schmucken kleinen Markt, den geraden Straßen und großzügigeren Häusern niedergelassen.
Fast hundert Jahre war es jetzt her, dass Jan Willem Noot, der Großvater von Franz Haniel, Ruhrorts angesehenstem Bürger, das erste Haus außerhalb der Ruhrorter Stadtmauern hatte bauen dürfen. Inzwischen waren viele Straßenzüge hinzugekommen, und seit einigen Jahren wurde die so entstandene Neustadt eifrig erweitert. Auch die Kaufmeisters waren aus dem fünfzig Jahre alten Wohn- und Packhaus an der Dammstraße in ein neues, dreistöckiges Haus gezogen und nutzten das alte Haus nur noch als Kontor und Lager.
Luise hatte zunächst geschwiegen, dann platzte sie heraus: «Lina, ich kann es kaum fassen, du hast mich mehr als zwei Thaler ausgeben lassen.»
Lina schmunzelte nur, während sie konzentriert auf das grobe Pflaster sah, um nicht ins Stolpern zu kommen. «Liebe Luise, davon wirst du ganze vier neue Kleider bekommen – ein neues Oberteil, und wir können die alten Röcke durch neue Volants und Raffungen wie neu erscheinen lassen, selbst den, in den du dir den Winkel gerissen hast. Die zerschlissenen Ärmel der anderen Blusen entfernen wir, und dann bekommst du endlich Ärmel, die der Mode entsprechen. Und mit der Seide …»
«Ich denke, die ist für dich.»
Lina blieb stehen. «Es wird ein wenig davon für dich abfallen, ein paar Verzierungen und Paspeln. Und wenn du dir ein wenig Mühe gibst mit deinen Stickereien …»
«Aber du hast doch selbst kein Geld …»
«Du vergisst, dass ich die Herrin über das Haushaltsgeld bin. Mein Bruder wird gar nicht merken, wenn ein halber Thaler fehlt.»
Zwei Stunden später saßen sie in Luises gemütlichem Zimmer in dem kleinen schmalen Altstadthaus, wo ihre Tante einen Putzmacherbetrieb unterhielt. Sie hatten sich von der Magd Tee bringen lassen und wärmten sich auf.
«Nächste Woche schneide
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