Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
klar, warum der Commissar lieber das Angebot der Ruhrorter Wirte in Anspruch nahm, bei ihnen umsonst zu essen.
Lina hatte ihre Näharbeit wegen des schwindenden Lichts beendet und wollte gerade eine billige Kerze anzünden, als unten jemand laut gegen die Tür pochte. Sie hörte Wilhelm öffnen, und kurz darauf sprang jemand die Treppe herauf, vorbei an ihren Räumen zur Mansarde.
«Herr Commissar, Herr Commissar!»
Von oben klang Borghoffs ruhige Stimme: «Was gibt es, Schröder?»
«In der Altstadt wurde eine Hure ermordet.»
«Ich komme. Warten Sie einen Moment», rief Borghoff.
Kurze Zeit später dröhnten seine schweren Stiefel die Treppe hinunter.
Lina stand mit der Kerze in der Hand in dem immer dunkler werdenden Zimmer. Die Erlebnisse des Herbstes und die damit verknüpften Bilder stiegen wieder in ihr hoch. Die beiden toten Mädchen, der Säugling. Immer noch wurde der Schifferssohn Drömmer gesucht, doch es schien, als habe er die Stadt längst für immer verlassen. Lina glaubte jedenfalls nicht, dass Drömmer etwas mit dem Mord an der entstellten Grete am Neujahrstag zu tun hatte. Anfang Februar war gemunkelt worden, dass man eine weitere Leiche nahe den Gärten an der Woy gefunden hatte, aber es wurde nichts weiter darüber bekannt, und die Hauptarbeit der Polizei schien darin zu bestehen, möglichst alles zu vertuschen, so wie Bürgermeister Weinhagen es angeordnet hatte.
Nun gab es also wieder einen Mord. Vielleicht hat er nichts mit den anderen zu tun , dachte Lina. Sie hatte seit der Beerdigung ihres Vaters keinen Grund mehr gehabt, mit Borghoff zu reden. Vielleicht waren die Tote an der Woy und die Tote in der Altstadt keine Opfer jenes Mörders, der den Mädchen die Herzen herausgerissen hatte.
Der Tatort war ein Mansardenzimmer in einem sehr alten, schiefen Haus in der übelsten Ecke der Altstadt. Der Besitzer war längst in die Neustadt umgezogen und vermietete einzelne Zimmer. An wen, schien ihm gleich zu sein – Arbeiterfamilien oder auch Huren. Als er merkte, dass damit gutes Geld zu machen war, hatte er Wände unter dem Dach eingezogen und gleich vier winzige Zimmer geschaffen, in die kaum mehr als ein Bett und ein Stuhl passten.
Die Tote lag nackt auf ihrem Bett, alles war rot von Blut – Wände, Boden, Decken und Kissen waren von einer braunroten Kruste überzogen. Es stank nach Verwesung. Der Vermieter wollte die Wochenmiete kassieren und hatte die Leiche entdeckt.
Borghoff sah sich die Frau näher an. Wie er vermutet hatte, klaffte in der Brust ein Loch. Er war sicher, dass Dr. Feldhoff kein Herz finden würde. Er seufzte. Die Tote an der Woy hatte man noch vertuschen können, aber hier in der Altstadt würde sich die Nachricht in Windeseile verbreiten. Spätestens morgen früh wusste ganz Ruhrort von dem Fund.
«Das passt», sagte Ebel, der bereits vor ihm eingetroffen war.
Borghoff sah ihn fragend an.
«Na, Drömmer. Erinnern Sie sich? Er wurde letzte Woche hier gesehen.»
Ja, der Commissar erinnerte sich. Sie hatten mehrere Stunden lang die Altstadt nach dem Flüchtigen durchkämmt.
«Im Februar hatte ihn niemand gesehen», brummte Borghoff nur. Er sah sich in dem Raum um, in dem man sich kaum um die eigene Achse drehen konnte. Persönliche Gegenstände hatte die Tote nur wenige gehabt. Er ging zu der kleinen Truhe, die vor dem Bett unter der Schräge stand, und öffnete sie. Es gab nur ein paar Kleidungsstücke, einen kleinen Beutel mit Münzen, hauptsächlich Kupferpfennige und Silbergroschen.
Er zählte. «Fast vier Thaler.»
«Sie war hübsch, hat sicher ganz gut verdient», sagte Ebel.
Schröder und ein anderer Polizeidiener brachten die Trage. «In den Rathauskeller?», fragte er.
Borghoff nickte und trat aus dem engen Raum. Als sie die Leiche an ihm vorbeitrugen, wurde er stutzig. «Halt», sagte er und deutete auf die linke Hand, die er vorher nicht hatte sehen können. Sie umklammerte ein Stück blauen Stoff.
«Eine Schifferjacke?», fragte Ebel.
«Möglich.» Borghoff ließ den Fetzen in seiner Jacke verschwinden. «Es reicht, wenn Sie Dr. Feldhoff morgen früh Bescheid geben, er kann heute ohnehin nichts mehr tun. Der Raum wird abgeschlossen und versiegelt, wir inspizieren ihn bei Tageslicht.»
«Ich glaube kaum, dass es viel Licht darin gibt bei der kleinen Dachluke», merkte Schröder an.
Sie trugen die Leiche mit Mühe die steile Treppe hinunter. Ein Mann drängte sich hinauf zu Borghoff. «Wann kann ich das Zimmer wieder vermieten, Herr
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