Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
als zu Zeiten des Lehrers», sagte er.
Lina holte zwei Gläser und stellte sie auf den Tisch. Borghoff goss vorsichtig ein. Das Bier schäumte. «Prost, Fräulein Kaufmeister!»
Sie war nervös stehen geblieben und griff nach ihrem Glas. «Prost, Herr Commissar.»
Das Bier war kühl und prickelte. Als sie das Glas absetzte, blieb etwas Schaum auf ihrer Oberlippe. Hastig wischte sie ihn ab. «Das ist gut», sagte sie leise.
«Ich bringe es mir immer von Lohbeck mit, dort gibt es das beste Bier.» Er sah sie an. «Möchten Sie sich nicht setzen?»
«Ja … ja, sicher.» Lina setzte sich ihm gegenüber hin. In ihrem Kopf stritten zwei Gedanken miteinander. Allein mit einem fremden Mann hier in ihrem Wohnzimmer zu sitzen, war völlig unmöglich. Aber dann wiederholte die leise Stimme: «Wer soll schon davon erfahren?»
Borghoff nahm den Gesprächsfaden wieder auf. «Ich muss wissen, was für ein Stoff das ist.»
«Das ist ein guter Wollstoff – dunkelblau, nehme ich an –, aber das kann man bei Tageslicht besser sehen. Mittlere Preislage, würde ich sagen. Ein einfacher Schiffer kann sich das kaum leisten. Es würde …» Sie brach ab. «Nein, das ist zu weit hergeholt.»
«Nein, bitte, sagen Sie mir, was Sie denken.»
«Hat der neue Mord etwas mit dem an den Kindern zu tun?», fragte Lina.
Borghoff nickte. «Der Frau wurde das Herz herausgeschnitten, genau wie den Kindern und …»
«Der Toten an der Woy?»
«Ja. Woher wissen Sie davon?»
«Marktgerede. Aber es war sehr schnell verstummt. Und ein herausgeschnittenes Herz hat keiner erwähnt, das habe ich nur vermutet.»
Borghoff fuhr sich mit der Hand über die versehrte Gesichtshälfte. «Der Bürgermeister hatte striktes Stillschweigen befohlen und demjenigen, der die Tote entdeckt hatte, sogar Geld aus der Stadtkasse für sein Schweigen gezahlt.»
«Und Sie fragten mich nach einer Schifferjacke, weil Sie immer noch hinter diesem Schifferssohn her sind.»
«Nun, er wurde vor ein paar Tagen gesehen – und die Frau ist wahrscheinlich seit dieser Zeit tot.»
«Dieses Stück Stoff hier könnte zu einer Jacke gehören, zu der der Knopf passt, den Sie bei den Mädchen gefunden haben. Also zu einem Bürger oder einem sehr gutgekleideten Kutscher oder Diener.»
Borghoff sah sie scharf an. «Sie beharren immer noch darauf, dass es jemand aus der Stadt gewesen ist?»
«Ja. Auch wenn mir der Gedanke nicht gerade behagt.»
«Dem Bürgermeister auch nicht.» Borghoff seufzte. «Aber solange ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, wer es gewesen ist …»
«Was passiert mit den Herzen?», fragte Lina plötzlich.
«Was?»
«Die Herzen. Es muss einen Grund geben, warum er sie herausschneidet.» Lina schien erstaunt, dass er darüber wohl noch nicht nachgedacht hatte.
«Herzen sind verderblich. Wir können kaum darauf hoffen, sie zu finden.»
Lina schüttelte ungeduldig den Kopf. «Ich sagte nicht, dass Sie die Herzen finden werden. Aber wenn Sie wissen, warum er sie herausschneidet, haben Sie vielleicht einen Anhaltspunkt, wo Sie suchen müssen.»
Ihre klare Logik überraschte ihn ein weiteres Mal. Er selbst behielt allzu oft solche Ideen abseits der vertrauten Wege der polizeilichen Ermittlung für sich, sie aus Linas Mund zu hören, war höchst erstaunlich. Aber was er für den Staatsanwalt und den Bürgermeister brauchte, waren Zeugen und Verdächtige, die er verhören konnte, Beweise, die eine klare, schlüssige Kette ergaben. Das «Warum», das hinter einem Verbrechen stand, kam für sie immer erst an zweiter Stelle. Doch Lina hatte recht: Wo die üblichen Wege nichts fruchteten, könnte es sinnvoll sein, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Nur hatte er nicht die geringste Ahnung, wo er so etwas in Erfahrung bringen konnte.
Lina auch nicht. Nach einem längeren Schweigen sagte sie: «Ich habe weder von jemandem gehört, der Herzen geraubt hat, noch darüber gelesen.»
«Trotzdem ist es ein richtiger Gedanke», meinte Borghoff. «Ich werde versuchen, etwas darüber in Erfahrung zu bringen. Morgen kommt der Staatsanwalt aus Duisburg herüber. Er ist ein erfahrener Mann, vielleicht kann er helfen.» Er deutete auf den Krug. «Möchten Sie noch etwas Bier?»
«Oh, ich möchte Ihnen nicht Ihren ganzen Abendtrunk …»
Er lachte. «Ich schütte ohnehin immer den halben Krug weg. Und ich muss ja nicht dafür bezahlen. Daran, dass die Wirte hier die Polizei freihalten, musste ich mich zwar erst gewöhnen, aber es ist doch eigentlich ganz
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