Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
höchst langweilig war.
«Doch, wird es», bestätigte Lina. «Aber ich werde nicht sechs Kleider an einem Nachmittag ändern können, drei davon sind noch dazu höchst aufwendig.» Sie sah die enttäuschten Blicke der Mädchen. «Keine Angst. Für den hiesigen Maiball werde ich euch die Kleider schon herrichten.»
Sie hatte inzwischen erfahren, dass dies der Grund war, weshalb der Baron mit seinen Töchtern vom Gut nach Ruhrort gekommen war. Natürlich hatte er auch einiges mit Bertram und Georg zu besprechen, denn der Beginn ihrer gemeinsamen Unternehmung verzögerte sich immer wieder, da sie bisher kein geeignetes Grundstück gefunden hatten. Zwischenzeitlich schien es sogar, als hätte von Sannberg ganz das Interesse verloren, doch inzwischen beteiligte er sich wieder an den Vorbereitungen.
Fasziniert sah der Baron zu, wie Lina ihre Nähmaschine aufbaute und auch ein großes Stück weißer Seide hervorholte, das sie vorsorglich aus Claras Laden mitgebracht hatte. Sie hatte noch gut im Gedächtnis, welche Farben die Mädchen ausgesucht hatten, und wirklich, die Seide war von der im Kleid verwendeten kaum zu unterscheiden.
Die beiden Kleider, die sie zur heutigen Änderung aussuchte, waren ohne allzu großen Aufwand zu verschönern. Sie zeigte den vier Mädchen, wie man zarte Röschen aus der Seide drehen konnte, und bald waren alle mit Eifer bei der Sache, während Lina die Kleider von voluminösen Rüschen befreite, die der Pariser Meister aus der Zeitschrift nie verwendet hatte.
Als die Mädchen schon ein ganzes Rosenbeet zusammenhatten, wurde es ihnen langsam langweilig, und sie zogen sich mit Limonade, einem Gedichtband und den Briefen, die Diotima von einem Berliner Verehrer erhalten hatte, in den kleinen Hof des Hauses zurück, wo ein paar Orangenbäumchen und Oleander einen fast schon glauben ließen, man sei in Italien.
Lina hatte inzwischen beide pastellfarbenen Röcke aufgetrennt, die weiße Seide dazwischengesetzt, immer darauf bedacht, dass sich die Kleider noch unterschieden, und saß nun an der Nähmaschine, um die grob geriehenen Nähte zusammenzufügen.
«Ich weiß jetzt, warum Sie nicht auf das Gut kommen konnten», sagte von Sannberg plötzlich.
Lina hielt das Rad an. «Ich dachte mir schon, dass Sie das früher oder später hören würden. Vielleicht sollte ich Ihre Töchter nicht mehr besuchen.»
«Meine Töchter?» Erst jetzt schien ihm aufzugehen, was sie meinte. «Weil Sie das Haus Ihres Bruders verlassen haben? Wenn ich bedenke, was er Ihnen angetan hat, war das doch nur vernünftig.»
«Er wird sagen, dass er mich nicht geschlagen hätte, wenn ich mich nicht widersetzt hätte.» Lina begann, das Rad wieder zu drehen, und die Maschine ratterte los.
«Ich halte Sie nach wie vor für ein gutes Vorbild für meine Töchter», sagte von Sannberg leise. «Ich weiß nicht, warum man einer klugen Frau nicht erlauben sollte, selbst zu bestimmen, wie ihr Leben auszusehen hat. Aber vielleicht gibt es zu viele dumme Frauen …»
«Sie werden nicht so geboren, jedenfalls die meisten nicht», entgegnete Lina schärfer als beabsichtigt.
Von Sannberg schien das zu gefallen. «Das mag ich an Ihnen, Fräulein Kaufmeister. Dass sich bei Ihnen die Vernunft mit der Leidenschaft paart.»
Lina hatte die Naht fertig und sah ihn spöttisch an. «Eine unverheiratete Frau sollte mit einem ungebundenen Mann allein in seinem Wohnzimmer weder über Leidenschaft noch über das Paaren reden, wenn sie vernünftig und anständig ist.»
Cornelius von Sannberg lachte laut auf. «Ihre scharfe Zunge hat jedenfalls keinen Schaden genommen.» Er wurde wieder ernst. «Jedenfalls ist Ihre derzeitige Lage alles andere als erfreulich, hörte ich.»
«Mein lieber Bruder hat all meine Einkünfte sperren lassen und mir noch dazu die Ersparnisse genommen. Er betrachtet sie als sein Eigentum – ganz so wie mich.» Sie seufzte. «Und das wird mich spätestens im Winter dazu zwingen, wieder in den Schoß meiner lieben Familie zurückzukehren. Aber ich werde so lange durchhalten, wie ich eben kann, das bin ich mir schuldig.»
Sie schwiegen eine Weile, während Lina den Rock wieder an das Oberteil heftete, das sie mit einigen wenigen Stichen so geändert hatte, dass es Diotima wirklich passte. Als Nächstes setzte sie die kleinen Seidenröschen auf die Raffungen des Rocks, genau die richtige Art von Verspieltheit für ein siebzehnjähriges Mädchen.
«Ich bekomme übrigens noch zwei Thaler von Ihnen für die Seide, ich
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