Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
habe sie aus Frau Dahlmanns Laden mitgebracht.»
Von Sannberg nickte. «Selbstverständlich.»
Er stand auf und ging zu seinem Sekretär, wo er sein Geld aufbewahrte. Er holte den Beutel heraus und zögerte einen Moment. «Das, was Sie hier heute Nachmittag umgearbeitet haben, was hätte das wohl bei einem Kleidermacher gekostet?»
«Bei dem Cölner oder einem hiesigen?», fragte Lina zurück.
«Sagen wir, bei einem hiesigen.»
Lina überlegte kurz. «Ein Kleidermacher mit Laden und Gesellen … zwei bis drei Thaler ohne das Material, schätze ich. Der Cölner hätte sicher das Doppelte genommen.»
«Und die anderen Kleider sind aufwendiger?»
Lina fragte sich, worauf er hinauswollte. «Für die beiden blauen brauche ich mindestens doppelt so lang, und die zartgelben muss ich ganz auseinandernehmen und neu machen, so wenig haben sie mit dem zu tun, was Ihre Töchter sich ausgesucht haben.»
«Aber Sie könnten es bis Ende nächster Woche schaffen, wenn die Mädchen zu ihrer Mutter reisen?»
«Sicher.»
Er zählte ein paar Münzen ab, und als Lina sie in Empfang nahm, sah sie ihn erstaunt an. «Das sind sechzehn Thaler!»
«Ja, ich weiß. Ich habe Sie ein wenig betrogen, aber Sie müssen ja auch keinen Laden und keine Gesellen bezahlen.»
«Das kann ich nicht annehmen!»
«Wieso nicht?», fragte von Sannberg. «Sie haben den ganzen Nachmittag hart gearbeitet.»
«Aber eine Hausschneiderin verdient höchstens einen Thaler pro Tag.»
«Ich verstehe nicht viel von diesen Frauenzimmerangelegenheiten», sagte von Sannberg. «Aber soweit ich weiß, näht eine Hausschneiderin in erster Linie Tisch- und Bettwäsche und einfache Bekleidung. Das hat nur wenig mit dem zu tun, was Sie heute hier getan haben. Das ist Kunst!» Er setzte sich direkt vor Lina in einen Sessel. «Ich denke, Sie brauchen Geld, um Ihrem Bruder eine lange Nase zu drehen? Ich würde es Ihnen jederzeit geben, aber ich kenne Sie – ein Almosen würden Sie nicht annehmen. Doch Sie sollten sich wenigstens für ehrliche Arbeit bezahlen lassen.»
«Also, ich weiß nicht … es ist … es gehört sich einfach nicht.»
Der Baron ließ das nicht gelten. «Es gehört sich nicht für eine Frau, die sich brav ihrem Bruder fügt. Aber eine Frau, die weiterhin allein leben möchte, muss für ihren Lebensunterhalt arbeiten.»
Das leuchtete Lina ein, obwohl sie sich bei dem Gedanken immer noch unwohl fühlte. Nun, das hier war immerhin besser als Taschentücher nähen … Lina zögerte noch einen Moment, dann nahm sie das Geld. «Das Material geht extra», sagte sie.
«So ist es richtig», nickte der Baron. «Und glauben Sie mir, ich kenne die Rechnungen meiner Töchter, ich bin sehr billig weggekommen.»
Kurz vor Einbruch der Dämmerung probierten Diotima und Beatrice ihre geänderten Kleider an, und alle waren begeistert. Die zarten Pastellfarben leuchteten fast ein wenig durch den weißen Kontrast, und die Röschen an Rock und Ausschnitt gaben den Kleidern etwas Leichtes, fast als würden sie schon von allein tanzen. Emma und Friederike waren beinahe ein wenig neidisch, obwohl ihre Kleider ebenso schön waren.
«Ich wünschte, ich könnte euch vier auf dem Ball sehen», sagte Lina leise. Obwohl sie nicht tanzen konnte, liebte sie es, die Bälle zu besuchen, den Anblick der festlichen Kleider und die Musik.
«Sie könnten mich begleiten», bot von Sannberg an.
«O nein, lieber Freund. Ich werde das Schicksal nicht herausfordern. Zwar werde ich noch freundlich gegrüßt – von allen, außer meiner Familie –, aber das kann sich rasch ändern, wenn das Mitleid wegen der Schläge meines Bruders nachgelassen hat.»
«Nun gut, vielleicht haben Sie recht. Aber wenn Sie es sich noch anders überlegen sollten …»
Lina schüttelte den Kopf. «Ich habe kein Kleid, und bis Ende nächster Woche so viel zu tun, dass ich mir keines mehr nähen kann.»
Sie aßen noch gemeinsam zu Abend, und dann gingen Lina und ihre Nichten in Begleitung des Kutschers nach Hause.
Lina ging schweigend neben ihm her und konnte ihr Glück immer noch nicht fassen. Sechzehn Thaler! Ein kleines Vermögen. Sie würde sich ein paar neue Teetassen davon kaufen, die sie schmerzlich vermisste. Und den Rest zurücklegen für den Winter. Wieder einige Wochen mehr, die sie ihrem Bruder abtrotzen konnte.
Am nächsten Morgen erwachte Lina früh. Sie konnte es gar nicht abwarten, mit der Arbeit an den Kleidern zu beginnen. So saß sie, was selten passierte, bereits mit Clara und
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