Das Rote Palais - Die Totenwächterin / Der Gottvampir / Die Schattenpforte: Special-eBook-Edition Trilogie (German Edition)
mit auf sein Zimmer zu nehmen. Doch selbst wenn er erst am näc h sten Abend wieder sein Hotel verlassen würde, verharrten einige von ihnen hartnäckig auf der Straße. Einfältige Menschen. Sie begriffen nicht, dass er bei Tag nicht erscheinen würde. Er strich sein glä n zendes, schwarzes Haar nach hinten. Dabei fuhren seine Finger über die hohen Wangenknochen. Seine Haut fühlte sich fest und glatt an, selbst dort, wo sein Bart wuchs. Er konnte Stu n den damit zubringen, sein Spiegelbild zu bewu n dern. Der perfekte Schwung seiner Brauen faszinierte ihn stets aufs Neue. Zu seiner Zeit als Sterblicher hatte Eitelkeit als Sünde gegolten. Doch nun lebte er in einer Welt, die überquoll vor Menschen, die sich Schö n heit und Jugend zum höchsten Gut erkoren hatten. Er hätte es nicht besser treffen können und war dankbar für seine Unsterblic h keit. Noch dankbarer war er für seine neu erworbene Fähi g keit, endlich wieder sein Antlitz betrachten zu können. Das Dasein als Vampir hatte durchaus Vorzüge, auch wenn man sich erst nach Jahrhunderten daran gewöhnte. Es dauerte seine Zeit, bis man diesen jämmerl i chen Rest von Menschlichkeit aus seinem Innern verbannt hatte und endlich zu dem wurde, was man war. Jedoch der Verzicht, sich selbst betrachten zu können, war ihm unerträglich gebli e ben. Welch erhebendes Gefühl es war, als er sich zum ersten Mal dabei be o bachten konnte, wie er ein Opfer vor dem Spiegel riss. Der Rausch war in seinem Kopf explodiert, als er nicht nur fühlte, sondern sah, wie sich seine messerscharfen Reißzähne in den Hals des Mädchens bohrten. Nie zuvor konnte er gleic h zeitig in die angstgeweiteten Augen seines Opfers blicken, während seine Fänge mit Leichtigkeit Haut, Muskeln und Knorpel durchtrennten. Wie sehr hatte er vermisst, sein Antlitz im Spiegel länger zu betrachten, als in den wenigen Minuten des Zwielichts. Das schillernde Lichtspektakel, das sich ihm aufgrund der vampir i schen Aura ansonsten im Spiegel bot, empfand er als schwachen Trost. Erst seit er diese jämmerliche Gestalt in seinem Körper duldete, konnte er sich wi e der solange betrachten, wie es ihm gefiel.
Seine tiefbraunen Augen blickten ihm entgegen. Wie große Mandeln hatten sie die perfekte Form und strahlten, wenn er es wol l te. Er sah sich zufrieden lächeln, und hätte das Aufflammen in seinem Blick beinahe übersehen. Mit geweiteten Augen beugte er sich vor. Langsam wurde das satte Braun von einem wässrigen, hellblauen Ton überzogen, bis er in die glanzlosen Augen des and e ren blickte. Seine Hände umschlossen fest den Beckenrand. Er spürte mehr, als dass er sah, wie sich seine Lippen aufeinander pressten.
„Verzieh dich, Bragi!“, presste er hervor. Seine Stimme hallte in dem gekachelten Bad wider. „Hast du es noch immer nicht k a piert? Mach, dass du wegkommst, sonst zerfleische ich heute Nacht minde s tens drei Groupies.“
Ein klagendes Jaulen entrang seine Kehle. Wie er dieses Geräusch verabscheute. Seine Gesichtszüge verzerrten sich, zerstörten das perfekte Antlitz. Unbändiger Zorn stieg in ihm auf. Mit voller Wucht traf seine Faust auf den Spiegel, der zerbarst. Scherben flogen durch den Raum. Das Jammern verebbte und wich zurück in die Tiefen seiner unsterbl i chen Seele.
„Geht doch.“
Selbstzufrieden grinste er sich in einer übrig gebliebenen Spiegelscherbe zu. Das wirkte immer. Allein die Androhung einen Me n schen zu töten, ließ diesen einst mächtigen Gott in sich zusammenschrumpfen wie eine erschlagene Spinne. Seit zweihundert Ja h ren teilte er seinen Körper mit einem altgermanischen Gott. Dass die Götter einst die Menschen zu ihrer eigenen Unterhaltung geschaffen hatten war lachhaft. Ebenso wie sie ihre schwächl i chen Sterblichen hätschelten und verwöhnten wie Schoßhündchen. Verziehen ihnen jede Schan d tat, und holten sie sogar nach Asgard, wenn sie als Helden auf ihren Schlachtfeldern gefallen waren. Ausnahm s los waren sich die Götter einig, selbst als ihre Menschen sich immer mehr verselbstständigten. Den lächerlichen Zwang der Menschen, alles erfo r schen zu wollen, sahen sie nicht als Gefahr. Mit nachsichtigem Stolz ließen sie die Menschen gewähren, und merkten nicht, dass sie damit ihren eigenen Unte r gang besiegelten. Denn die Menschen hörten irgendwann auf, an Götter zu glauben. Anstatt Midgard, die Menschenwelt, zusammen mit ihren minderen Bewohnern zu zerstören, beschlossen die Gö t ter, hinabzufahren, wenn ihnen nach der
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