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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Anrufbeantworter schaltete sich ein. »Will«, sagte eine gedämpft klingende Männerstimme. »Will, ich bin’s, Kumpel. Ich muss mit dir reden. Will, bist du da? Bitte! Es ist dringend!« Ein paar Sekunden war nur sein lautes Atmen zu hören. Dann schaltete sich das Band aus.
    Ich nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank und trank ein Glas, dann noch eins. Es war fast elf. In den vergangenen vierzig Stunden hatte ich ungefähr zwei Stunden geschlafen, wenn überhaupt.
    Trotzdem fühlte ich mich nicht wirklich müde, sondern eher auf eine seltsame Weise überdreht. Meine Haut prickelte, mein Herz pochte, meine Gedanken rasten. Alle Gegenstände im Raum erschienen mir unnatürlich scharf konturiert, als wären sie von hinten beleuchtet. Ich ging ins Wohnzimmer und ließ mich mit angezogenen Füßen auf dem weichen, tiefen Sofa nieder. So fand Will mich vor, als er fünfzehn Minuten später zurückkam. Er trug eine große Tüte und schien in Gedanken vertieft. Sein Gesicht wirkte müde und deprimiert – so sah er also aus, wenn er sich unbeobachtet wähnte. Dann entdeckte er mich. Er lächelte nicht, aber es war, als würde ein Schatten von ihm genommen. Ich bewirkte das, dachte ich, während ich aufstand, um Platz zu machen. Er sagte nichts, legte aber den Arm um mich und zog mich an sich.
    Seine Wange war von der Nachtluft ganz kalt. Seufzend beugte er sich vor und holte zwei schwarze Tabletts aus der Tüte.
    »Das sieht schön aus, wie ein Kunstwerk. Viel zu schade, um es zu zerstören.«
    »Wir sollten Sake dazu trinken.«
    »Ich möchte nichts mehr trinken.«
    »Hier, probier das.«

    Er fütterte mich mit einem Stück Tunfisch, das mit einer scharfen grünen Paste bestrichen und in Sojasauce getaucht war. Ich kaute es gehorsam. Es schmeckte nicht nach Fisch oder Salzwasser, nur nach Frische.
    »Wundervoll.«
    »Und noch eins.«
    »Mmm.«
    »Nicht die Augen schließen.«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Iss das. Kit, Kit.«
    Ich versuchte, die Augen offen zu halten, aber es war alles so schön, dass ich es nicht länger ertragen konnte –
    das warme Zimmer, das tiefe Sofa, der Bademantel mit seinem Geruch an meinem nackten Körper, das ungewohnte Essen, das leichte Prickeln der Angst irgendwo in meinem Bauch, seine Hand in meinem Haar, seine Stimme in meinem Ohr. Sein Atem an meiner Wange. Ich spürte, wie ich in eine selige Dunkelheit glitt.

    31. KAPITEL
    Bevor ich zu Michael Doll hinging, beobachtete ich ihn eine Weile. Entlang des Kanals saßen eine ganze Reihe von Männern. Es war ein Mittwochmorgen. Hatten diese Leute denn alle keinen normalen Beruf? Aus zwei Radios schallte unterschiedliche Musik. Die Teleskop-Angelruten der Fischer waren enorm lang, manche reichten nach hinten bis über den Treidelpfad und nach vorne bis zur anderen Seite des Kanals. Während ich dort stand, kam ein Radfahrer des Weges, sodass die Fischer unter viel Gebrumme und Gemurre ihre Ruten aus dem Weg räumen mussten.
    Ein, zwei Grüppchen von Männern kauerten beieinander, eine Tasse mit einem wärmenden Getränk aus einer Thermoskanne in der Hand, aber die meisten von ihnen saßen allein an ihrem Platz. Irgendwie wirkte Michael Doll besonders allein. Die Stelle, wo er fischte, war ein ganzes Stück von den anderen entfernt. Ob sie von ihm gehört hatten? Sein Hund saß reglos neben ihm. Das Einzige, was sich an ihm bewegte, war der Speichel, der zwischen seinen gelben Zähnen hervortröpfelte. Um zu ihnen zu gelangen, musste ich über mehrere Angelruten steigen und mich zwischen Plastikboxen mit Haken, Spulen und Maden hindurchschlängeln. Obwohl es nicht kalt war, trug Doll eine rot-schwarz karierte Jacke, in der er aussah wie ein kanadischer Holzfäller, und dazu eine recht flotte dunkelblaue Kappe. Er blickte starr geradeaus, und als ich näher kam, hörte ich, dass er leise vor sich hinsang. Dann, als würde er mich wittern, drehte er sich plötzlich um. Vielleicht hatte er meinen Blick gespürt. Er lächelte, aber seine Miene wirkte nicht überrascht, sondern erwartungsvoll, was mir einen Schauder über den Rücken jagte. »Hallo, Kit«, sagte er. »Wie geht es Ihnen?«
    »Gut.« Ich schob die Hände in die Hosentaschen und sah mich um. »Ich habe Sie noch nie fischen gesehen.«
    Er stieß ein leises, kehliges Lachen aus. »Das ist ein gutes Leben hier unten«, erklärte er. »Gute Leute.« Er zog seine Angelrute hoch. Es hing nichts am Haken. »Die schlauen Kerle knabbern die Würmer runter.« Wieder dieses

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