Das rote Zimmer
Lachen. Er bewegte die Rute so, dass der Haken genau auf ihn zuschwang, und fing ihn geschickt. Er saß auf einem Camping-Klappstuhl. Neben seinem linken Stiefel stand eine Tabakdose voller Würmer. Er wühlte mit den Fingern darin herum, bis er einen gefunden hatte, der ihm passend schien.
»Die anderen benutzen Maden«, stellte ich fest.
»Maden sind rausgeschmissenes Geld«, gab er zurück.
»Ein Stück weiter hinten kann man die Würmer ausgraben. So viele, wie man will. Außerdem ist ein Wurm fleischiger.« Mit zusammengekniffenen Augen brachte er den Wurm in Position, um ihn auf seinen Haken zu spießen. »Es ist schon komisch«, sagte er, »die Leute sorgen sich um Füchse und Robbenbabys, aber um Fische und Würmer machen sie sich keine Gedanken. Ich meine, sehen Sie sich diesen Wurm hier an. Die Leute behaupten, ein Wurm spüre keinen Schmerz, aber sehen Sie ihn sich an.« Er schob die Spitze des Hakens durch den Wurm.
Eine graue Flüssigkeit quoll heraus. Hatten Würmer Blut?
Ich konnte mich dunkel erinnern, dass wir das mit dreizehn in Biologie durchgenommen hatten, aber an die Einzelheiten konnte ich mich nicht mehr erinnern. »Sehen Sie sich diesen Wurm an«, wiederholte er unnötigerweise,
»er windet sich jetzt stärker als vorher. Man könnte wirklich meinen, dass er Schmerzen hat und zu entkommen versucht, finden Sie nicht auch? So, stillgehalten!« Letzteres war an den Wurm gerichtet. Weit davon entfernt, seinem Schicksal zu entrinnen, wurde der Wurm ein zweites Mal auf den mit Widerhaken versehenen Haken gespießt. »Wer kann schon sagen, ob ein Wurm nicht genauso Schmerz empfindet wie Sie oder ich?«
»Warum tun Sie es dann?«
Doll schwang die Rute, und der Wurm verschwand im dunklen Wasser des Kanals. Der kleine Schwimmer kippte und wippte, bis er sich schließlich in einer aufrechten Position einpendelte. »Ich denke nicht darüber nach«, antwortete er.
»Doch, das tun Sie. Sie haben doch gerade darüber gesprochen.«
Er runzelte konzentriert die Stirn. »Na ja, es dringt in mein Gehirn, wenn Sie das meinen. Aber es macht mir nichts aus. Es ist schließlich nur ein Wurm.«
»Hmm. Fangen Sie viele Fische?«
»Manchmal bringe ich es auf zehn. Manchmal sitze ich auch den ganzen Tag im Regen und erwische gar nichts.«
»Was machen Sie damit?«
»Ich werfe sie zurück, es sei denn, der Haken steckt zu tief. Wenn man ihn rauszieht, kann es sein, dass man ihnen das Maul aufreißt und ihre Eingeweide mit herauszieht. Dann breche ich ihnen den Hals und gebe sie einem Kater, der immer in der Nähe meiner Wohnung rumstreunt. Der frisst sie für sein Leben gern.«
Ich schob die Hände noch tiefer in die Taschen und bemühte mich weiter um eine höflich interessierte Miene.
Doll murmelte etwas vor sich hin. Als ich genauer hinhörte, wurde mir klar, dass seine Worte den Fischen galten, den unsichtbaren Fischen im öligen dunklen Wasser, die er auf diese Weise an seinen Haken zu locken versuchte. »Da seid ihr ja«, flüsterte er. »Kommt schon, meine Schönen! Nun kommt schon!« Er zog den Haken aus dem Wasser. Es hing kein Fisch dran, aber der halbe Wurm war schon wieder abgefressen. Er stieß ein anerkennendes Lachen aus. »Diese schlauen Kerle!«
»Michael, ich bin eigentlich hier, um mit Ihnen über das zu sprechen, was am Kanal geschehen ist.« Er murmelte etwas, das ich nicht verstand. »Fanden Sie es nicht seltsam, dass Sie schon wieder in der Nähe waren, als es passierte?«
Er blickte sich um. »Gar nicht seltsam«, antwortete er.
»Ich bin immer hier. Das ist mein Stammplatz. Wenn er an meinem Stammplatz Mädchen umbringen will, dann bin ich da.«
»Verstehe«, sagte ich. »Ihr Stammplatz. Haben Sie den Mann erkannt? Ist er Ihnen irgendwie bekannt vorgekommen?«
»Nein«, antwortete Doll. »Es ging alles so schnell. Und es war so dunkel. Konnte nichts sehen.«
»Geht es Ihnen gut, Michael? Sie sind nicht noch einmal angegriffen worden?«
»Nein.« Er lächelte. »Es ist alles vergessen. Vergessen und vergeben.«
Ich warf einen argwöhnischen Blick auf seinen Schwimmer. Wahrscheinlich war mittlerweile nur noch ein Viertel des Wurms übrig. »Versuchen Sie nachzudenken, Michael«, sagte ich. »Wenn Ihnen irgendwas einfällt, egal, was, dann melden Sie sich bei mir. Sie können mich über die Polizei erreichen.«
»Ich habe doch Ihre Privatnummer.«
»Ach ja, stimmt«, antwortete ich mit einem unguten Gefühl im Bauch.
»Ich weiß, wo Sie wohnen.«
»Sie können sich auch
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