Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
nichts angesammelt? Wo hast du vorher gelebt?«
    »In einem sehr vollen Haus.«
    »Mit einer Ehefrau?«
    »Das war einer der Gründe, warum es so voll war, ja.«
    »Und das hast du alles zurückgelassen?«
    »Du hältst dich nicht lange mit Smalltalk auf, oder?
    Möchtest du was trinken?«
    »Ja. Was hast du denn?«
    Ich folgte ihm in die Küche, die nur eine entfernte Ähnlichkeit mit den Küchen aufwies, die ich bisher kannte. In der Nähe des nach hinten hinausgehenden Fensters war ein Spülbecken angebracht, darunter stand ein großer Mülleimer aus Edelstahl, in der Ecke ein Kühlschrank. Die üblichen Küchengeräte und Arbeitsflächen aber fehlten, und ich konnte auch keinen Herd entdecken. Stattdessen stand an einer Wandseite ein alter Kieferntisch mit einem Wasserkocher, einem Toaster, einer Kaffeemühle und zwei scharfen Messern.
    »Mein Gott, Will, das ist wirklich ein bisschen ungewöhnlich.«
    »Ich habe Whisky, Gin, Brandy, Wodka, Campari und irgendeinen seltsamen isländischen Schnaps, den ich noch nicht aufgemacht habe.« Er stöberte in einem großen Schrank herum.
    »Im Kühlschrank stehen außerdem Bier und Wein. Oder Tomatensaft.«
    Mir war weder nach Bier noch nach Wein zumute und ganz bestimmt nicht nach Tomatensaft. Ich wollte spüren, wie der Alkohol in meinem Hals brannte und durch meine Adern floss.
    »Ich probier mal das isländische Zeug.«
    »Sehr mutig von dir. Ich schließe mich wohl besser an.«
    Ich trat an die Tür, die in den Garten führte, und sah hinaus. Es war schon fast dunkel, aber ich konnte noch erkennen, dass der Garten aus einer kleinen Rasenfläche und einem großen Lorbeerbaum bestand, der genau in der Mitte stand. Will gab ein paar Eiswürfel in unsere Gläser und goss mehrere Fingerbreit einer klaren Flüssigkeit darüber.
    »Danke.« Ich prostete ihm zu und kippte dann die Hälfte meines Drinks hinunter. »Teufel noch mal!« Mein ganzer Hals brannte, und meine Augen tränten.
    »Ist was?«
    »Du hast noch gar nichts probiert.«
    Er trank, ohne mit der Wimper zu zucken, und stellte sein Glas auf dem Tisch ab. Obwohl uns nur ein paar Meter Boden trennten, erschien er mir Meilen entfernt, völlig unerreichbar.
    »Ich weiß eigentlich gar nicht, wieso du mich sehen wolltest«, sagte er.
    Ich gab ihm keine Antwort. Stattdessen kippte ich den Rest meines Drinks hinunter. Der Raum schwankte einen Moment, dann pendelte er sich wieder ein. Was spielte es schon für eine Rolle, was passieren würde? Zumindest war ich hier, und irgendetwas würde passieren. »Willst du, dass ich wieder gehe?«
    »Nein.«
    »Gut. Ich bin sowieso schon über dem Limit. Und jetzt?«
    »Was zu essen?«
    »Nein, danke.«
    »Hast du geschlafen?«
    »Nein.«
    »Kein Schlaf, kein Essen.«
    »Ich werde nicht den ersten Schritt tun, Will.« Der Alkohol machte mich mutig.
    »Okay.«
    »Weil nämlich du an der Reihe bist.«
    »Um erst mal auf deine Frage zu antworten: Ich bin gegangen, weil ich eines Tages völlig verkatert aufwachte und plötzlich alles unsäglich satt hatte.«
    »Deinen Job?«
    »Meinen Job, meine Gewieftheit, meine erstaunliche Fähigkeit, das Gesetz dem Buchstaben, aber nie dem Geist nach zu befolgen, meine belanglosen Triumphe und Erfolge, mein Trinken, meinen zunehmenden Kokainkonsum, mein Haus mit seinen schönen antiken Möbeln, mein Geld auf der Bank, meine Aktenmappe, meinen Laptop und mein Handy, das ich tagtäglich dabei hatte, wenn ich am frühen Morgen mit der U-Bahn zur Arbeit fuhr, eingezwängt zwischen all den anderen Männern, die genauso waren wie ich. Angewidert von all meinen Besitztümern. Je mehr man hat, desto mehr braucht man. Das neueste, kleinste Handy, allerlei ausgefallene Gerätschaften, eine Uhr, die eigentlich ein Computer ist. Angewidert von der verdammten Hosenpresse, den Anzügen und Krawatten, den Cocktailpartys, den Besprechungen mit all den anderen Männern, die auch solche Anzüge trugen wie ich und ebenfalls Hosenpressen und antike Möbel besaßen. Ganz zu schweigen von den Urlauben in Cape Cod, den Gesprächen über Golf, Schulgebühren und gute Weine.
    Eines Tages wachte ich einfach auf und wusste, dass ich nicht mehr konnte. Ich konnte keinen Tag länger so weitermachen. Es war ein bisschen wie eine Alkohol-Vergiftung. Ich verspürte ein Gefühl von Abscheu gegen mich, gegen die Welt, in der ich lebte. Es kotzte mich richtig an, wie blind ich für das gewesen war, was um mich herum passierte. Kennst du das? Jeden Morgen und jeden Abend war ich an

Weitere Kostenlose Bücher