Das rote Zimmer
ich, begann mich aber gleich zu entschuldigen. »Ich komme mir immer so blöd vor, wenn ich so was sage.« Ich setzte mich auf, schob mir ein Kissen in den Rücken und ließ den Blick über den Raum schweifen. Neben den Resten eines chinesischen Essens stand eine leere Flasche Wein. Eine zweite Flasche war noch zu einem Drittel gefüllt. Unsere Klamotten lagen im ganzen Zimmer verstreut.
»Das mit gestern Nachmittag tut mir Leid«, erklärte ich.
»Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte.«
»Macht doch nichts«, antwortete er. Er ließ seine Finger über meinen Körper gleiten, ohne mich dabei anzusehen.
»Genau das hat mich so überrascht«, sagte ich. »Du hast tatsächlich den Eindruck erweckt, als würde es dir nichts ausmachen. Ich habe oft Angst vor der Polizei, obwohl ich mit ihr zusammenarbeite. Du dagegen hast völlig cool gewirkt.«
»Ist das für dich ein Problem?«
»Vielleicht bekomme ich leichter Angst als du.«
»Das wäre kein Wunder.«
»Ach, du meinst das hier?« Ich hob die Hand und berührte meine Wange, meine Narbe.
»Was hast du denn erwartet?«, fragte er. »Hätte ich auf die Knie sinken und meine Unschuld beteuern sollen?«
»Wie meinst du das, deine ›Unschuld‹?«
»Das willst du doch von mir hören, oder etwa nicht? Du möchtest, dass ich dir in die Augen blicke und sage: ›Kit, ich bin unschuldig. So wahr mir Gott helfe!‹«
»Nein«, protestierte ich. »Aber …«
»Aha, also doch.« Er stand auf. »Ich gehe jetzt unter die Dusche.«
Ich blieb im Bett und dachte nach. Als er, eingehüllt in ein großes weißes Handtuch, wieder ins Zimmer kam, sagte ich:
»Weißt du, was das Problem ist?«
»Wessen Problem? Meins oder deins?«
»Du hast dich gestern auf dem Revier keine Sekunde aus der Ruhe bringen lassen. Du hattest die Situation völlig im Griff.«
»Und die Frage ist: Würde ein unschuldiger Mensch sich so verhalten?«
»Interessiert dich das Ganze denn gar nicht?«
»Was?« Er hob die Augenbrauen. »Was die Leute über mich denken? Warum sollte mich das interessieren?«
»Nein, nein, ich meine nicht, was die Leute über dich denken. Ich meine – na ja, das Ganze eben. Lianne und Philippa und Daisy, und jetzt auch noch Bryony.
Schließlich bist du irgendwie in die Sache verwickelt.
Auch wenn du genau genommen nicht das Geringste damit zu tun hast – du bist in die Sache verwickelt. Du hast zwei von diesen Frauen gekannt, Will. Du hast Lianne gekannt, sie war jung, einsam und hilfsbedürftig, und nun ist sie tot. Drei von diesen Frauen sind tot, und trotzdem hast du gestern bloß ironisch lächelnd dagesessen und den Überlegenen gespielt. Ich meine, ich weiß, dass es dir irgendwie tief in deinem Inneren nicht egal ist, weil du sonst diesen Job und das alles nicht machen würdest.«
»Nein, das weißt du nicht. Das lässt sich daraus nicht ableiten.«
»Na gut, dann eben nicht, vielleicht ist es dir tatsächlich scheißegal, aber das fände ich ziemlich beängstigend.«
Will lächelte gehässig. »Beängstigender als die Vorstellung, dass ich eines Mordes fähig sein könnte? Wer weiß …« Er ließ sein Handtuch auf den Boden fallen und schlüpfte in einen Bademantel, ehe er weitersprach:
»Vielleicht findest du den Gedanken ja sogar aufregend?
Gefällt dir die Vorstellung, dass ich dazu fähig sein könnte, einen Menschen zu töten? Ich kenne dich – du stellst dich deinen Ängsten gern, habe ich Recht? Die Angst spüren und es trotzdem tun, hm?« Seine Stimme klang spöttisch und grausam.
Ich setzte mich wieder auf. »Hör zu, Will, lass uns keine solchen Spielchen spielen. Bitte. Ich bin in meinem Leben schon vielen Mördern begegnet, ein paar Dutzend, würde ich sagen, vielleicht waren es sogar mehr. In all diesen Fällen gibt es dicke, fette Berichte, die erklären, wieso sie es getan haben. Ich kenne kein einziges Beispiel, wo jemand den Betreffenden schon vorher als potenziellen Mörder erkannt hat. Ganz im Gegenteil, mehrere dieser Täter wurden von Leuten wie mir laufen gelassen und haben dann jemanden umgebracht. Deswegen werde ich hier bestimmt nicht vor dir stehen und behaupten, du wärst nicht dazu fähig, eine Frau zu töten.«
»Sitzen.«
»Was?«
»Du stehst nicht, du sitzt.«
»O mein Gott! Genau das meine ich! Eigentlich wollte ich damit nur sagen, dass ich gestern Nachmittag, als ich dich da so sitzen sah, plötzlich das Gefühl hatte, dass es dir gar nicht unangenehm wäre, wenn die Leute dich verdächtigen würden.
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