Das rote Zimmer
mit Will Pavic hätte. Mehr oder weniger. Oban sah mich völlig belämmert an, als hätte ich ihn aus einem sehr tiefen Schlaf gerissen, nur um ihm etwas ganz und gar Unverständliches mitzuteilen.
»Pavic?«, fragte er benommen. »Aber ich dachte …
Aber was ist mit … Sie und er? Oh.« Er runzelte verwirrt die Stirn. »Pavic? Sind Sie sicher? Sie und er, ein Paar?«
»Nun ja, ein richtiges Paar sind wir nicht gerade.«
»Wie meine Frau und ich. Ich weiß, was Sie meinen.«
35. KAPITEL
»Von jetzt an möchte ich Sie an meiner Seite haben«, hatte Oban gesagt. Deswegen stand ich nun ein weiteres Mal auf Jeremy Burtons halb überschwemmtem Rasen und war mir die ganze Zeit der Blicke Emilys bewusst, die mit dem Daumen im Mund aus dem Fenster ihres Zimmers schaute. Jeremy hatte darauf bestanden, unser Gespräch im Freien zu führen, als würde ihm im Haus die Decke auf den Kopf fallen. Obwohl er keine Jacke trug, sondern nur ein kurzärmeliges T-Shirt, schien er den eisigen Wind, der durch den Garten pfiff, gar nicht zu spüren. Ich fror trotz meiner Strickjacke. Wasser sickerte in meine Schuhe.
»Ich verstehe nicht«, wiederholte er. Recht viel mehr hatte er seit unserem Eintreffen noch nicht gesagt. Er hatte sich die Fotos von Daisy, Lianne und Bryony angesehen, jedes einzeln hochgenommen und von sich weggehalten, als wäre er weitsichtig, bevor er sie Oban zurückgab.
»Nein«, hatte er bei jedem gesagt. »Nein, ich habe dieses Gesicht noch nie gesehen, und auch den Namen noch nie gehört. Nein, nein, nein. Ich weiß gar nicht, warum Sie mir diese Fotos zeigen.«
»Ihre Frau hat die Namen der anderen Opfer aufgeschrieben, bevor sie starb«, erklärte Oban geduldig.
»Lianne. Und den Namen der Frau, die kürzlich am Kanal überfallen worden ist, Mrs. Teale – Bryony Teale. Und Daisy Gill war ein Mädchen, das sich vor ein paar Monaten umgebracht hat und offenbar mit Lianne befreundet war. Ihre Frau hat ihren Namen ebenfalls notiert.«
»Warum?« Er schüttelte heftig den Kopf und kniff dabei die Augen zusammen, als könnte er uns nur unscharf erkennen.
»Warum?« Sein Gesicht wirkte schlaff. Er machte einen erschöpften Eindruck.
»Wir wissen nicht, warum, Mr. Burton«, antwortete Oban.
»Wir sind gerade erst auf diese Verbindung gestoßen, und natürlich erscheint uns nun alles in einem völlig anderen Licht.«
»Philippa hat diese Frauen nicht gekannt«, erklärte er in beharrlichem Ton. »Ganz sicher nicht.«
»Sie hat aber ihre Namen aufgeschrieben.«
»Es muss sich um einen Irrtum handeln«, entgegnete er verzweifelt. »Ich kann es nicht erklären, aber es kann sich nur um einen Irrtum handeln. Sie hat diese Frauen nicht gekannt.«
»Was macht Sie da so sicher?«, fragte ich so sanft wie möglich.
»Sie hätte es mir erzählt.«
»Was hätte sie Ihnen erzählt?«
»Was auch immer. Alles. Alles, was in ihrem Leben eine Rolle spielte.« Einen Moment lang sah er aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen, aber dann wurde sein Blick zornig, und er setzte sich in Bewegung. Wir folgten ihm in den hinteren Teil des Gartens.
»Mr. Burton«, meldete sich Oban energisch zu Wort.
»Ich weiß, dass das für sie ein Schock ist, aber …«
»Es ist kein Schock, es ist – es ist wie ein Albtraum.«
»Könnte es sein, dass Ihre Frau bedroht wurde oder …?«
»Ich weiß nicht, warum sie die Namen aufgeschrieben hat. Warum hätte jemand sie bedrohen sollen?« Er blieb abrupt stehen und drehte sich zu uns um, sodass wir plötzlich sehr eng beieinander standen. »Ich weiß, was Sie denken.«
»Was denken wir denn?«
»Dass sie etwas im Schilde führte, eine Affäre oder irgend so einen Unsinn. Oder vielleicht ich. Vielleicht hatte ich mit all diesen Frauen eine Affäre, und sie hat es herausgefunden. Ist es das, was ich leugnen soll? Also gut, ich leugne es.«
Er begann wieder zu laufen.
»Jeremy.« Ich eilte ihm nach und legte meine Hand auf seinen Arm, um ihn zum Stehenbleiben zu bewegen. »Nun hören Sie mir mal gut zu! Wir wollen überhaupt nichts andeuten und nehmen auch nichts in dieser Richtung an.
Bitte hören Sie mir zu. Ich weiß …«
»Was wissen Sie denn schon? Nichts. Ich bin nicht gut darin, meine Gefühle zu zeigen. War ich noch nie. Das heißt aber nicht, dass ich keine habe. Phil wusste das. Sie sah es mir an, wenn ich deprimiert war oder mir Sorgen machte, oder wenn ich beruflichen Ärger hatte. Wenn ich zur Tür reinkam, brauchte sie mir bloß ins Gesicht zu sehen, und
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