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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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schon spät«, antwortete ich. »Ich gehe jetzt rauf.«
    So langsam und ruhig wie möglich schob ich mich rückwärts durch die Tür und versuchte, sie hinter mir zuzuziehen. Doll hatte seinen Fuß dazwischen. Er beugte sich vor, sodass ich im Türspalt sein Gesicht sehen konnte.
    »Sie hassen mich?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Sie wollen, dass ich gehe. Am liebsten wäre es Ihnen, Sie brauchten mich nie wieder zu sehen.«
    O ja, ich wollte, dass er ging. Ich wollte, dass er aus meinem Leben verschwand. Wenn er sich unbedingt an jemanden hängen musste, dann bitte nicht an mich. »So habe ich das überhaupt nicht gemeint«, sagte ich. »Ich bin bloß müde. Ich hatte einen harten Tag. Bitte.«
    Sein Gesicht war jetzt ganz nah vor meinem. Jeder seiner Atemzüge wurde von einem pfeifenden Geräusch begleitet. Er streckte den Arm durch den Türspalt, und ich spürte seine Hand auf meiner Wange.
    »Gute Nacht, Kit.«
    Ich gab ihm keine Antwort. Die Hand zog sich zurück.
    Ich spürte, wie der Druck gegen die Tür nachließ, und konnte sie endlich zuziehen. Mit einem plötzlichen Gefühl von Übelkeit lehnte ich mich dagegen. Ich spürte Michael Dolls Hand noch immer auf meinem Gesicht. Ich spürte Will Pavic noch in mir. Es kam mir vor, als würde ich nach diesen Männern riechen. Ich rannte nach oben, und obwohl ich bei Will schon geduscht hatte, stellte ich mich noch einmal unter die Dusche, bis kein warmes Wasser mehr kam. Dann stöberte ich in einem Schrank herum und fand eine Flasche Whisky, von dem ich ein Glas voll mit ins Schlafzimmer nahm. Im Bett sitzend, trank ich große Schlucke, die mein Inneres brennen ließen und mein Gehirn betäubten.

    37. KAPITEL
    Am nächsten Morgen rief ich Oban an und erzählte ihm von Michael Doll. Er schien das ziemlich lustig zu finden.
    »Dann haben Sie also einen Bewunderer«, meinte er.
    »Noch einen, besser gesagt.«
    »Das ist nicht lustig«, erklärte ich. »Ich glaube, er ist mir gefolgt.«
    »Warum?«
    Ich zögerte. Er brauchte nicht zu wissen, dass Doll mir von Wills Haus aus gefolgt war. »Es wird immer schlimmer«, antwortete ich vage. »Mittlerweile hängt er schon vor dem Haus herum und beobachtet mich. Ich fühle mich nicht mehr sicher.«
    Oban stieß ein Husten aus, das auch ein Lachen hätte sein können.
    »Ich glaube das einfach nicht!«, sagte er. »Wir versuchen nun schon seit Wochen, Sie davon zu überzeugen, dass Doll gefährlich ist, während Sie nur immer das Gegenteil weismachen wollen – dass er nämlich ein lieber, missverstandener Junge ist.«
    »Das habe ich nie behauptet.«
    »Ich weiß, meine Liebe. Wo bleibt Ihr Sinn für Humor?
    Aber Spaß beiseite, was soll ich Ihrer Meinung nach tun?«
    »Das weiß ich auch noch nicht so genau, aber langsam fühle ich mich von ihm wirklich bedroht.«
    »Oje!«, seufzte Oban. »Dabei fing ich gerade an, mich mehr für Ihren anderen Freund zu interessieren.«
    »Was?«
    »Das lässt sich kaum vermeiden. Ich habe nachgedacht.

    Alle Wege scheinen zu Will Pavic und seinem verdammten Drogenhandelszentrum zu führen.«
    »Das ist doch lächerlich.«
    »Vielleicht. Trotzdem müssen wir es in Betracht ziehen.
    Wenn Sie wollen, kann ich jemanden zu Mickey Doll schicken, der ihm was ins Ohr flüstert.«
    Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Das ist gar keine so schlechte Idee«, erklärte ich. »Das Problem ist, dass ich zu ihm sagen kann, was ich will, egal, ob freundlich oder böse, es scheint ihn bloß noch mehr zu ermutigen. Ich möchte ihm wirklich keinen Ärger machen, aber langsam wird er mir einfach lästig.«
    »Keine Angst, wir werden ihm ein wenig auf die Füße treten. Auf eine nette Art, versteht sich. Kommen Sie heute aufs Revier?«
    »Vielleicht später«, antwortete ich. »Ich werde heute die meiste Zeit in der Klinik sein.«
    Gegen Mittag saß ich in einem der Seminarräume der Klinik einem fünfzehnjährigen Mädchen namens Anita gegenüber. Sie war in Begleitung ihrer bleichgesichtigen, fassungslosen Mutter, außerdem waren eine Sozialarbeiterin und ein Anwalt anwesend. Ich blätterte gerade eine Akte durch. Das übliche Desaster. Nein, schlimmer als das: Termine bei der Betreuerin waren nicht eingehalten worden, Therapiestunden hatten nicht stattgefunden, Unterlagen waren verloren gegangen. All das wäre nicht weiter ungewöhnlich gewesen, hätte da nicht ein Schulgebäude gebrannt. Das hatte den Ausschlag gegeben. Obwohl Anita schon zwei Selbstmordversuche

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