Das rote Zimmer
schon wusste sie, ob es mir gut ging oder nicht.
Ich brauchte gar nichts zu sagen. Wir hingen nicht ständig aneinander, kein Mensch würde uns als ein leidenschaftliches Paar bezeichnen. Aber es gibt unterschiedliche Arten, jemanden zu lieben. Ich habe sie geliebt, und sie hat mich geliebt, und nun ist sie tot, und Sie stehen da und machen irgendwelche Andeutungen, die uns und unser gemeinsames Leben betreffen. Wir hatten ein gutes Leben. Die Art Leben, die wir beide führen wollten. Es war nicht sonderlich aufregend, aber wir hatten einander, und dann kam Emily. Und wir wollten noch ein Kind. Dann wären wir eine komplette Familie gewesen. So hat sie es immer ausgedrückt. Jetzt ist sie tot, und wir werden niemals komplett sein.«
»Mr. Burton …«
Da sahen wir, dass er weinte. Er stand unter dem Apfelbaum und weinte wie ein kleiner Junge, bis sein Gesicht ganz nass und fleckig war.
»Nein«, sagte Pam Vere. Sie saß sehr aufrecht auf ihrem Stuhl. Nein, sie erkenne keines der Gesichter. Ja, sie sei sicher. Vollkommen sicher.
»Wie lange war Daisy hier, Mrs. Winston?«
Mrs. Winston war eine rundliche Frau mit lockigem Haar, die richtig gemütlich ausgesehen hätte, wären da nicht das viele Make-up in ihrem Gesicht und die gewitzten, mich prüfend musternden Augen hinter ihren dicken Brillengläsern gewesen. Wir saßen in ihrer warmen Küche, wo sich sofort drei Katzen um meine Beine schmiegten, und aßen Schokoladenkekse. Oban hatte mein Interesse an Daisy als nebensächlich abgetan und war aufs Polizeirevier zurückgekehrt. »Wir müssen uns auf die Hauptpersonen konzentrieren, Kit«, hatte er gesagt.
»Außerdem waren meine Männer schon dort, die haben das bereits erledigt.«
»Wie lang?« Mrs. Winston runzelte die Stirn und nahm laut schlürfend einen Schluck von ihrem Tee. »Lassen Sie mich nachdenken. Was genau habe ich zu den netten Beamten gesagt, die schon hier waren? Allzu lang war es auf jeden Fall nicht. Normalerweise haben wir es gern, wenn unsere Kinder lange bleiben, weil man dann eine richtige Beziehung aufbauen, ihnen ein richtiges Familienleben bieten kann. Wir hatten mal ein Mädchen fast zwei Jahre lang, oder, Ken?«
Ken, der wesentlich schmächtiger war als seine Frau, nickte.
»Das stimmt.«
»Georgina, so hieß sie, ein ganz liebes Mädchen.«
»Ganz lieb«, bestätigte Ken wie ein Echo.
»Aber Daisy ist gar nicht lang geblieben. Drei Monate, vielleicht ein bisschen länger.«
»Warum nur so kurz?«
»Sie hat sich nie eingewöhnt. Wir haben es versucht, das müssen Sie uns glauben. Wir haben ihr ein eigenes Zimmer eingerichtet, mit neuen Vorhängen, die ich extra für sie genäht hatte, und schönen Möbeln. Wir haben uns auch bemüht, ihr das Gefühl zu geben, willkommen zu sein, nicht, Ken?«
»Das haben wir.«
»An dem Tag, als sie kam, sagte ich zu ihr: ›Daisy, betrachte dieses Haus als dein Zuhause. Und wenn du Probleme hast, egal, ob groß oder klein, dann komm zu mir.‹«
»Und hat sie es getan? Ich meine, ist sie mit ihren Problemen zu Ihnen gekommen?«
»O nein. Nie. Sie war verschlossen wie eine Auster, dieses Mädchen. Ich wusste schon in der ersten Woche, dass es nicht klappen würde, stimmt’s, Ken?«
»O ja.«
»Sie war eine Einzelgängerin. Ist zum Essen immer in ihr Zimmer gegangen. Alles war voller Krümel. Sie hat sich uns nie angeschlossen oder sich irgendwie bemüht.
Und sie hat schreckliche Dinge über meinen Sohn Bernie gesagt.« Ich hatte Bernie kennen gelernt – einen massigen, etwa siebzehnjährigen Jungen mit einem Totenkopf-aufdruck auf seinem T-Shirt. Er hatte mir die Tür geöffnet.
»Dabei versuchte er bloß, nett zu ihr zu sein.«
»Daisy hat Ihnen also nicht viel darüber erzählt, was in ihrem Leben vor sich ging?«
»Nein. So gut wie gar nichts. Sie war ein verschlossenes kleines Ding.«
»Haben Sie ihre anderen Freunde kennen gelernt?«
»Nein. Sie war viel unterwegs, hat aber nie jemanden mit nach Hause gebracht. Manchmal ist sie die ganze Nacht weggeblieben. Ich habe zu ihr gesagt: ›Daisy, ich habe nichts dagegen, wenn du ausgehst, hier hast du einen Schlüssel, aber du musst mir sagen, wann du zurückkommst.‹ Was aber nicht heißen soll, dass sie sich daran gehalten hat.«
Ich breitete die Fotos vor ihr aus.
»Nein«, sagte sie, nachdem sie sie durchgesehen hatte.
»Ich habe es der Polizei schon gesagt. Natürlich erkenne ich diese Frau wieder, aber nur weil sie im Fernsehen war.«
»Philippa Burton.«
»Was
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