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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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bemühte mich, keine Miene zu verziehen.
    »Sie sehen gut aus, Kit«, erklärte er und lächelte, als wären wir alte Bekannte.
    »Was soll dieser Besuch?«
    »Kann ich einen Moment reinkommen?«
    Ich zuckte mit den Achseln. Es erschien mir leichter, einfach zuzustimmen.

    3. KAPITEL
    »Ich bin noch nie hier gewesen«, erklärte er und blickte sich um.
    Ich musste über diese Bemerkung lachen. »Warum um alles in der Welt hätten Sie hier sein sollen? Wir sind uns erst ein einziges Mal begegnet. Erinnern Sie sich?«
    »Es kommt mir öfter vor.« Er spazierte herum, als hätte er vor, die Wohnung zu kaufen. Schließlich trat er an das hintere Fenster, das auf ein Stück Wiese hinausging.
    »Schöner Blick«, sagte er. »Das sieht man von vorn gar nicht.«
    Ich schwieg. Er drehte sich zu mir um, ein Lächeln auf den Lippen, das aber von seinen Augen Lügen gestraft wurde. Sein Blick wanderte gehetzt und misstrauisch im Raum herum, wie bei einem Tier, das befürchtete, von hinten angegriffen zu werden. Ich hatte immer das Gefühl, dass sich meine Wohnung mit jedem neuen Menschen, der sie betrat, veränderte. Ich sah sie dann durch die Augen der betreffenden Person – beziehungsweise so, wie ich mir vorstellte, dass diese sie sah. Auf Furth wirkte diese Wohnung bestimmt karg und ungemütlich. Es gab ein Sofa und einen Teppich auf einem lackierten Holzboden.
    In der Ecke stand eine alte Stereoanlage, daneben türmten sich meine CDs. Die Bücherregale quollen über, die Bücher lagen zum Teil auf dem Boden. Die Wände waren weiß gestrichen und fast kahl. Die meisten Bilder beunruhigten mich oder, noch schlimmer, hörten irgendwann auf, mich zu beunruhigen. Es schmerzte mich, wenn ich ein Bild, das mich anfangs aufgewühlt hatte, nach Wochen oder Monaten immer weniger wahrnahm, bis es irgendwann nur noch ein gewöhnlicher Dekorationsgegenstand war. Wenn mir ein Bild nicht mehr auffiel, hängte ich es ab oder trennte mich ganz von ihm, bis ich am Ende nur noch zwei besaß. Das eine war ein Gemälde von zwei Flaschen auf einem Tisch. Mein Vater schenkte es mir, als ich einundzwanzig war. Ein ziemlich durchgeknallter Freund von ihm, ein entfernter Cousin, hatte es gemalt. Ich konnte nie daran vorbeigehen, ohne von dem Bild in Bann gezogen zu werden. Das andere war ein Foto vom Vater meines Vaters, auf dem er zusammen mit seinem Bruder und seiner Schwester vor einem Vorhang in irgendeinem Fotostudio posierte. Das Bild musste Mitte der Zwanzigerjahre entstanden sein.
    Mein Großvater trug einen Matrosenanzug. Alle drei hatten ein seltsam starres Lächeln aufgesetzt, als müssten sie das Lachen unterdrücken. Es war eine sehr hübsche Aufnahme. Eines Tages würde jemand dieses Bild an der Wand hängen haben, sich an seinem Anblick erfreuen und fragen: Wer wohl diese Kinder waren?
    Ich sah zu Furth hinüber. Für ihn hatte das Foto natürlich keinerlei Bedeutung. Vielleicht lag in seinem Blick eine Spur von Überraschung oder Verachtung. Ist das alles? In diese Wohnung kommt Kit Quinn jeden Abend zurück?
    Er trat ganz nahe an mich heran und sah mir mit einem so besorgten Ausdruck in die Augen, dass sich mir der Magen umdrehte. »Wie geht es Ihnen inzwischen?«, fragte er. »Ist mit Ihrem Gesicht alles in Ordnung?«
    Bevor er über meine Narbe streichen konnte, trat ich einen Schritt zurück. »Ich dachte nicht, dass wir uns jemals wiedersehen würden«, erklärte ich.
    »Wir hatten Ihretwegen ein sehr schlechtes Gefühl, Kit.«
    Rasch fügte er hinzu: »Auch wenn niemand etwas dafür konnte. Er hat getobt wie ein Wahnsinniger. Es waren vier Mann von uns nötig, um ihn zu bändigen. Sie hätten besser aufpassen sollen. Schließlich hatte ich Ihnen gesagt, dass es sich um einen Perversen handelt.«
    »Sind Sie deswegen gekommen? Um mir das zu sagen?«
    »Nein.«
    »Warum dann?«
    »Um ein wenig mit Ihnen zu plaudern.«
    »Worüber?«
    Er wich meinem Blick aus. »Wir wollten einen Rat von Ihnen.«
    »Wie bitte?« Ich war über diese unerwartete Antwort dermaßen verblüfft, dass es mir nur mit Mühe gelang, ein Kichern zu unterdrücken. »Sie sind wegen eines Falls hier?«
    »Ja, richtig. Wir wollten mit Ihnen reden. Haben Sie was zu trinken da?«
    »An was haben Sie denn gedacht?«
    »Ein Bier vielleicht?«
    Ich ging in die Küche, fand hinten in meinem Kühlschrank etwas bayerisch Aussehendes und brachte es ihm.
    »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
    Ich holte ihm aus der Küche eine Untertasse. Er schob das Glas, das ich ihm

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