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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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sie sich aus meiner Umarmung und rannte in den Garten hinaus. Nachdem ich den Kassettenrekorder ausgeschaltet hatte, sah ich zu Pam hinüber. Sie schien beunruhigenden Gedanken nachzuhängen.
    »Aber …«, sagte sie. »Es war doch dieser Mann. Was hat sie …«
    Ich hatte eigentlich vorgehabt, einfach aufzustehen und zu gehen, aber ich schuldete ihr etwas.
    »Ich hätte schon vor einer Ewigkeit darauf kommen müssen«, erwiderte ich. »Man kann eine Frau in einer dunklen Nacht entführen, an einem einsamen Ort. Man kann es auch an einem belebten Ort schaffen, obwohl es dann ein bisschen mehr Mühe erfordert. Aber man kann keine Mutter dazu bringen, ihr Kind allein zu lassen, nicht einmal auf einem Spielplatz, nicht einmal für eine Minute.
    Es sei denn, jemand würde auf das Kind aufpassen. Dieser Gedanke ist mir plötzlich gekommen, und dann habe ich mir überlegt, dass es sich um eine Frau handeln müsste.
    Emily hat immer erzählt, ihre Mutter komme zurück, nicht wahr?« Pam starrte mich an und nickte. »Wahrscheinlich war das das Letzte, was Philippa zu ihr gesagt hat. So was wie: ›Du brauchst keine Angst zu haben, ich komme gleich wieder.‹ Und Emily wartet immer noch.«
    Nachdem ich den Kassettenrekorder ausgesteckt hatte, stand ich auf und drückte das Gerät fest an mich, als könnte es mir jemand stehlen. »Ich muss jetzt gehen.«
    »Dann hatte er also eine Komplizin«, bemerkte Pam.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich kannte Michael Doll. Ich glaube nicht, dass es in seinem Leben eine Frau gegeben hat, mit der er wirklich sprechen konnte.« Außer mir vielleicht, dachte ich. Der Gedanke versetzte mir einen Stich ins Herz. Als ich ging, saß Philippas Mutter noch immer am Küchentisch. Sie hatte die Hände gefaltet, als betete sie.

    43. KAPITEL
    Als ich von meinem Handy aus im Tyndale Centre anrief, war ich nur noch ein paar Fahrminuten von dort entfernt.
    Eine Frau ging ran. Nachdem ich von ihr erfahren hatte, dass Will nicht da war, legte ich den Rest der Strecke zurück, parkte direkt vor dem Haus und läutete.
    »Ist Sylvia zufällig da?«, fragte ich die junge Frau am Empfang, die kurz geschorenes Haar hatte, eine Spinnennetz-Tätowierung auf der Wange trug und nicht viel älter aussah als die jungen Leute, die im Haus wohnten.
    »Nein.« Das Spinnennetz bewegte und dehnte sich, wenn sie sprach.
    »Was meinen Sie, wann sie wiederkommt?«
    »Kann ich nicht sagen.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wo ich sie finden könnte?«
    »Kann ich nicht sagen.« Sie zog eine Zigarette hinter dem Ohr hervor und steckte sie sich zwischen die Lippen.
    »Vertraulich«, erklärte sie. Sie zündete die Zigarette an.
    »Oh. Natürlich. Wenn Sie sie sehen, könnten Sie ihr bitte ausrichten, dass Kit Quinn sie etwas fragen möchte?
    Ich lasse Ihnen meine Telefonnummer da.« Die junge Frau gab mir keine Antwort, sah mich bloß argwöhnisch an.
    »Sie kennt mich«, fügte ich hinzu. Ich zog meinen Notizblock aus der Tasche, notierte die Nummer und reichte ihr den Zettel. Sie legte ihn vor sich hin, ohne einen Blick darauf zu werfen. Ich hatte wenig Hoffnung, dass sie in dieser Sache irgendwie aktiv werden würde.
    »Vielen Dank für Ihre Mühe.«
    Aber gerade als ich mich umdrehen und gehen wollte –

    ziemlich ratlos, weil ich nicht wusste, was ich als Nächstes unternehmen sollte –, hörte ich von irgendwoher eine Stimme: »Sie könnten es auf dem Volksfest versuchen.«
    Ich drehte mich um. Neben der Eingangstür kauerte ein Junge, der aussah wie zehn, aber eine Zigarette im Mund hatte und mit einem Schnappmesser spielte.
    »Auf dem Volksfest? Dem auf Bibury Common?« Ich war auf dem Herweg daran vorbeigefahren und hatte mit einem Gefühl von Nostalgie daran gedacht, welchen Spaß mir früher die Schwindel erregenden Fahrten mit der Achterbahn gemacht hatten, die billigen Plüschtiere und riesigen Plastikhämmer, die man bekam, wenn man mit einem schlecht eingestellten Luftgewehr alle Ziele traf.
    »Ja.« Er zögerte. »Hätten Sie vielleicht ein paar Kippen für mich, Miss?«
    »Tut mir Leid, ich rauche nicht.«
    »Dann vielleicht ein bisschen Geld?« Er legte mit einer selbstironischen Geste des Bettelns die Hände aneinander.
    Ich warf dem Mädchen am Empfang einen raschen Blick zu und gab ihm dann ein paar Münzen. »Cool! Danke.«

    Es dämmerte bereits, und das Volksfest begann langsam in Schwung zu kommen. Männer mit Lederjacken, öligen, nach hinten gekämmten Haaren und schlechten Zähnen hantierten mit

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