Das rote Zimmer
Schraubenschlüsseln. Die Achterbahn kreiste gemächlich durch die Dämmerung, obwohl noch alle Plätze unbesetzt waren. Es gab eine Rutschbahn, ein Karussell mit überdimensionalen Teetassen, ein zweites mit Tieren, Autoskooter, bewacht von Kaugummi kauenden, schlanken jungen Männern in engen Jeans, eine Geisterbahn, ein wackelig aussehendes Spiegelkabinett, dessen letztes Segment gerade an seinen Platz gerollt wurde, Stände, wo man Reifen über Flaschen werfen musste und Delphine gewinnen konnte, Stände, wo man Tüten mit Lakritzmischungen und hässliche Vasen gewann, wenn man mit einem Spicker ins Schwarze traf, außerdem mehrere Wagen, die fettige Burger und dicke orangefarbene Würstchen verkauften. Und es gab Schlamm, glucksenden, braunen Schlamm, wässrige Ströme von Schlamm, wo die Räder der Caravans durchgedreht hatten. Überall Schlamm.
Ich hielt nach Sylvia Ausschau. Die Leute begannen gerade erst einzutrudeln. Blecherne Musik setzte ein. Ein Luftballon, der einem plärrenden Kleinkind entwischt war, schwebte in den Himmel hinauf. Der Geruch nach Gebratenem und Zigarettenrauch erfüllte die Luft.
Vielleicht war sie gar nicht da. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg durch den Schlamm, suchte jedes Grüppchen von Leuten nach Sylvia ab und wollte schon aufgeben, als ich sie plötzlich entdeckte. Sie kletterte gerade mit einem etwa sechzehnjährigen Jungen in einen Autoskooter.
Sobald sie saßen, legte er ihr einen Arm um die Schulter, aber sie schob ihn mit verächtlicher Miene weg. Sie hatte ihr Haar zu albernen Strähnen zusammengebunden, sah viel jünger aus, als ich sie in Erinnerung hatte, und machte einen glücklichen Eindruck, als gebe es in ihrem Leben nichts, weswegen sie sich Sorgen machen müsste. Ich beobachtete sie, wie sie auf Kollisionskurs im Kreis fuhr, jedes Mal vor gespielter Angst aufschrie, wenn jemand in sie hineinkrachte, und ihrerseits laut johlte, wenn sie ihren Wagen herumriss, um einen anderen zu rammen.
Als sie ausstiegen, ging ich zu ihr. »Hallo, Sylvia.«
»Hallo.« Es schien sie kein bisschen zu überraschen, mich zu sehen.
»Ich hab dich gesucht.«
»Und?«
»Ich wollte dich was fragen. Aber ich möchte auf keinen Fall deinen Abend stören. Vielleicht könnten wir uns später treffen?«
»Es geht auch jetzt. Ich habe sowieso kein Geld mehr.
Bis dann, Robbie.« Mit diesen Worten entließ sie den Jungen an ihrer Seite, der gehorsam abzog, seine weiten, überlangen Hosenbeine im Schlamm hinter sich herschleifend.
»Möchtest du etwas zu essen? Oder zu trinken?«
»Egal.«
»Wie wär’s mit …?«
»Okay. Einen Burger mit Zwiebeln und Ketschup, Pommes und eine Cola.«
Wir gingen zu einem der Wagen hinüber, und ich besorgte das Essen für sie. »Da drüben ist eine Bank, da können wir reden«, schlug ich vor.
»Klar«, antwortete sie freundlich. Sie schien nicht neugierig zu sein, hatte aber definitiv Hunger. Bis wir saßen, hatte sie das meiste bereits verschlungen. Sie hatte Fett am Kinn und Ketschup an den Lippen. Zufrieden seufzend, wischte sie sich mit dem Ärmel übers Gesicht.
»Ich hätte da noch eine Frage, die du mir vielleicht beantworten könntest«, begann ich.
»Über Lianne?«
»Gewissermaßen. Und über Daisy. Liannes Freundin.«
»Die, die sich umgebracht hat.«
»Ja. Hast du sie auch gekannt?«
»Vom Sehen. Sie ist ab und zu mit Lianne rumgehangen.
Sie wissen schon. Man kennt sich eben.«
»Weißt du, ob Will Pavic sie auch gekannt hat?«
»Anzunehmen. Würde mich wundern, wenn nicht.« Ihr Blick schweifte ab. »Meinen Sie, ich könnte noch Zuckerwatte haben?«
»Aber sicher. Gleich. Das ist jetzt eine schwierige Frage, Sylvia, aber weißt du – hast du eine Ahnung, ob Will Pavic jemals, na ja, ob er jemals mit einer von den jungen Frauen in seiner Obhut liiert war?«
»Liiert?«, wiederholte sie, als hätte sie das Wort noch nie gehört.
»Na ja. Ob er mit einer von ihnen eine sexuelle Beziehung hatte.«
»Oh, Sie meinen, ob er sie gevögelt hat?« Sie klopfte mir kichernd auf die Schulter. »›Sexuelle Beziehung‹«, äffte sie mich nach.
»Hat er?«
»Haben Sie eine Kippe für mich?«
»Nein.«
»Schade.« Sie holte ihre eigenen Zigaretten aus ihrer Jeanstasche und zündete sich eine an. »Ich glaube nicht.«
»Bist du sicher?«
»Sicher? Natürlich nicht. Bei so was kann man nie sicher sein. Aber nicht dass ich wüsste.« Sie zog ihre kleine Nase kraus und inhalierte tief. »Ein Grabscher ist er jedenfalls
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