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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Weise – betäubt, merkte aber trotzdem, dass die beiden anderen Frauen nie ganz bei der Sache waren. Egal, ob sie mir gerade etwas Wichtiges erzählten oder auf einem Blumenkohlröschen herumkauten, sie blickten sich ständig um oder hielten über meine Schulter hinweg nach den Kindern Ausschau.
    Ich legte mich zurück und schloss die Augen. Direkt neben meinem Ohr rief Poppy zu den Mädchen hinüber, sie sollten jetzt zum Essen kommen, und zwar sofort! Es gab ein lautes Geschrei, weil eines von ihnen auf uns zugestürmt kam, ohne auf die anderen zu warten, und plötzlich spürte ich etwas Kaltes auf meiner Jeans.
    Erschrocken setzte ich mich auf und stellte fest, dass Megan bei dem Versuch, zu den Hühnchenschenkeln hinüberzuklettern, die Weinflasche umgestoßen hatte. Als sie sah, was passiert war, begann sie noch lauter zu schreien als ihre kleine Schwester. Poppy nahm sie in den Arm.
    »Das macht doch nichts, Megan, mein Liebling. Nicht weinen! Das ist überhaupt nicht schlimm. Kit, könntest du Megan bitte sagen, dass es nicht schlimm ist?«
    »Es ist nicht schlimm, Megan«, wiederholte ich gehorsam.
    »Tut mir Leid, Kit«, meinte Poppy, »aber Megan regt sich bei solchen Sachen immer schrecklich auf.«
    Dabei schien sich Megan inzwischen längst beruhigt zu haben, denn sie nagte bereits an einem Hühnerbein.
    »Zum Glück«, sagte Ginny fröhlich, »gibt Weißwein keine Flecken. Man verwendet ihn sogar, um Rotweinflecken zu entfernen, stimmt’s?«
    »Es ist bloß ein bisschen nass«, erklärte ich, während ich mit einem Blatt Küchenrolle meine Hose abtupfte.
    Eigentlich hätten sie es mir überlassen müssen, zu sagen, dass es nicht so schlimm sei.
    »Mein Gott«, lachte Poppy, »sei froh, dass es nur Wein ist. Was meinst du, was für Flecken ich schon auf meinen Sachen hatte!«
    Ich lächelte leicht genervt und schenkte mir noch einmal ein Glas voll ein.
    »Weißt du«, sagte Ginny, »ich glaube, deine Morde haben vielen Müttern ziemlich zugesetzt.«
    »Es waren nicht meine «, wandte ich ein.
    »Dieses arme Mädchen, deren Mutter entführt wurde, während sie auf dem Spielplatz war. Seit das passiert ist, habe ich Lottie kaum mehr aus den Augen gelassen. Ich weiß, das ist irrational.«
    Ich murmelte zustimmend.
    »Hat dich das nicht schrecklich runtergezogen, Kit?«
    Ich stellte mein Weinglas auf die Decke, überlegte es mir dann aber anders und nahm es wieder in die Hand.
    »Ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist«, sagte ich.
    »Es hat mich traurig gemacht.«
    »Ich persönlich fühle mich jedenfalls sicherer, seit es den Mann, der das getan hat, nicht mehr gibt. Ich habe den Detective im Fernsehen gesehen. Er hat so nette Dinge über dich gesagt.«

    »Das Ende des Falls war nicht so befriedigend, wie ihr vielleicht denkt«, erklärte ich. »Dieser Mann – er hieß Michael Doll – wurde einfach tot aufgefunden …«
    »Getötet von Leuten einer Selbstschutzgruppe«, unterbrach mich Poppy.
    »Natürlich würde ich so was nicht gutheißen«, meinte Ginny, »aber ich muss zugeben, dass ich, als ich davon las, erst mal dachte: großartig!« Sie zog Lottie zu sich heran und nahm sie in den Arm. »Es mag sich vielleicht um Selbstjustiz handeln, aber wenigstens kann dieser Mann jetzt nichts mehr Böses anstellen.«
    »Oder Gutes«, fügte ich hinzu.
    »Aber du weißt bestimmt eine Menge über ihn«, sagte Poppy in aufmunterndem Tonfall, weil sie meine Unzufriedenheit spürte.
    »Zumindest habe ich ihn gekannt.«
    »Hu!«, machte Ginny. »Wie unheimlich. Wie war er?«
    »Er war unheimlich«, antwortete ich. »Ein gestörter Mensch, in vieler Hinsicht abstoßend, aber auch ein bisschen Mitleid erregend.«
    »Was ist das für ein Gefühl, jemanden gekannt zu haben, der so schreckliche Dinge getan hat?«, fragte Poppy.
    »Ich weiß nicht so recht«, antwortete ich. »Vielleicht solltest du das besser Seb fragen. Außerdem wusste ich zu dem Zeitpunkt ja noch nicht, dass er die Morde begangen hatte. Und dann ist er umgebracht worden, bevor der Fall richtig geklärt war.«
    »Aber es gab eindeutige Beweise. Hat die Polizei zumindest gesagt.«
    »Das stimmt. Es gab eindeutige Beweise. Viele Beweise.
    Leider fügen sie sich trotzdem nicht zu einem klaren Bild zusammen. Aber das wollt ihr bestimmt gar nicht hören.«

    Ich musterte sie. Sie wollten es tatsächlich nicht hören.
    Die Mädchen forderten ganz und gar ihre Aufmerksamkeit. Waren die Kleinen gestürzt? Waren sie davongelaufen? Waren sie

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