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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Weise ist sie auch mit ihm ins Gespräch gekommen.
    Sie wissen schon – ›Was für ein Zufall‹, hat sie zu ihm gesagt und dabei erstaunt mit ihren langen Wimpern geklimpert, ›ich heiße auch Doll!‹ Clever, was?«
    »Ich bin sprachlos vor Bewunderung.«

    Er lachte. »Sie sind schwer zu beeindrucken, Kit Quinn.
    Wollen Sie es weiter hören?«
    »Ja, machen Sie weiter.«
    »… an die Frauen. Du weißt schon.«
    »Sprich weiter, Michael«, sagte die Frau. »Sprich weiter.«
    »Ich gehe zu der Stelle, wo es passiert ist. Wenn niemand sonst dort ist, in der Dunkelheit. Dann stelle ich mich da hin, wo sie gestanden hat.«
    »Ja?«
    »Ja, Dolly. Ist das in Ordnung?«
    »Natürlich, das weißt du doch.«
    »Ich gehe da hin, und dann stelle ich mir vor – ich stelle mir vor, dass alles noch einmal passiert, genau wie an dem Tag damals. Das Mädchen kommt den Weg entlang, ein ziemlich hübsches Mädchen. Sie ist jung, vielleicht siebzehn, und sie hat langes Haar. Ich mag langes Haar.
    Deins gefällt mir auch so gut, wenn du es offen trägst, Dolly. Eine Weile stelle ich mir vor, dass ich ihr bloß folge, ein paar Schritte hinter ihr. Sie weiß, dass ich da bin, aber sie dreht sich nicht um. Ich kann sehen, dass sie es weiß. Ihr Nacken wirkt plötzlich ganz steif, und sie geht ein bisschen schneller. Sie hat Angst. Sie hat total Angst vor mir. Ich fühle mich groß und stark. Du weißt schon.
    Männlich. Überlegen. Sie geht ein bisschen schneller, ich gehe auch ein bisschen schneller. Der Abstand zwischen uns wird kleiner.«
    Ein paar Momente lang herrschte Schweigen, man hörte nur jemanden atmen und ein leises Umgebungsgeräusch.
    Colette Dawes sagte wieder: »Sprich weiter!« Diesmal klang ihr Ton ziemlich scharf, als wäre sie seine Lehrerin.
    »Der Abstand zwischen uns wird kleiner«, wiederholte er. Er sprach jetzt sehr langsam. »Sie dreht sich um, und ich sehe ihren weit geöffneten Mund und ihre aufgerissenen Augen, und sie kommt mir vor wie ein Fisch, einer von meinen Fischen, bevor ich ihn zurück in das schmutzige Wasser werfe. Wie ein – Fisch in meiner Gewalt.«
    Ich hörte Michael Doll lachen. Ein nervöses, perlendes Lachen. Wenigstens stimmte die Frau nicht mit ein.
    Schweigen. Furth und ich saßen da und lauschten dem Drehen des Bandes. Ich warf einen Blick auf die anderen Kassetten in der Schachtel. Es waren noch drei, beschriftet und datiert. Doll begann wieder zu reden. »Bin ich deswegen ein böser Mensch? Was ich gerade gesagt habe
    – macht mich das zu einem bösen Menschen, Dolly?«
    »Hast du sie gehasst, Michael?«
    »Du willst wissen, ob ich sie hasse?« Seine Stimme klang gequält. Ich machte mir im Geist eine Notiz, dass er eine andere Zeit gebraucht hatte als sie. Wie gern hätte ich jetzt einen Block vor mir liegen gehabt, auf den ich mir pedantische kleine Notizen hätte machen können. »Nein, ich hasse sie nicht. Ich liebe sie, das ist doch klar. Ich liebe sie. Liebe. Liebe.«
    Furth beugte sich vor und schaltete die Kassette aus.
    Dann lehnte er sich mit verschränkten Armen zurück.
    »Und? Was sagen Sie?«
    Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Der kleine Raum beengte mich. Ich trat ans Fenster und starrte auf die Häuserwand gegenüber, das dünne Rinnsal, das aus der leckenden Dachrinne nach unten lief. Wenn ich mir den Kopf verrenkte, konnte ich fast einen Strich des stürmischen grauen Himmels sehen.
    »Ich würde gern mit Ihrer Kollegin Dawes sprechen.«

    »Nun machen Sie aber um Himmels willen einen Punkt, Kit! Das Ganze ist keine große Sache. Wir wollen bloß Ihre fachliche Meinung, basierend auf Dolls Herkunft und seinem sozialen Umfeld. Es reicht, wenn Sie uns sagen, welchen Eindruck er und sein aufgenommenes Geständnis auf Sie gemacht haben. Welcher Sorte Mensch Sie Doll nach reiflicher Überlegung zuordnen würden, blah, blah, Sie kennen das ja. Sie haben ihn gehört. Er war es. Er hat so gut wie gestanden, dass er das Mädchen getötet hat, und jetzt geilt er sich daran auf, holt sich Nacht für Nacht in seiner schmuddeligen Bude einen runter, während er sich seine schmutzigen Fotos ansieht und daran denkt. Er ist ein Perverser, ein Mörder. Kein Mensch, dem man irgendwie nahe kommen möchte, wie Sie selbst am besten wissen. Sie haben ja erfahren, wozu er fähig ist. Schreiben Sie einfach ein paar Zeilen darüber, was für einen Eindruck Sie von ihm hatten.«
    »Ich will nur ganz kurz mit Colette Dawes reden. Dann schreibe ich Ihnen den Bericht. In

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