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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ein Gefühl haben?«
    »Na ja, vielleicht macht es Ihnen im Nachhinein zu schaffen.«
    »Wieso? Das ist das Problem mit Leuten wie Ihnen. Sie versuchen jedem was einzureden.«
    »Ich wollte bloß mein Mitgefühl zeigen.«
    »Ich brauche kein Mitgefühl.«
    Nachdem wir uns sehr kühl voneinander verabschiedet hatten, rief ich sofort Furth an. Er meldete sich mit forsch-fröhlicher, zuversichtlicher Stimme. »Und?«, fragte er.
    »Ich muss sämtliche Bänder hören«, erklärte ich.

    7. KAPITEL
    Ich schlief unruhig, wachte immer wieder auf und verschlief dann am Morgen. Während ich hin und her rannte und mich fertig machte, trank ich rasch ein paar Schluck Kaffee. Julie kam aus ihrem Zimmer. Sie trug nichts als eine alte Jacke von mir, offenbar ein Fundstück aus dem Schrank in dem ansonsten ungenutzten Zimmer, das ich erst ansatzweise als Arbeitszimmer einzurichten versucht hatte. Im Moment war es ihr Zimmer. Wir mussten uns bald mal zusammensetzen und über ein paar Dinge reden. Sie sah aus wie ein Nagetier, das man aus dem Winterschlaf gerissen hatte. Ihre Haare waren zerzaust und aufgeplustert, ihre Augen zusammengekniffen, als würde das Tageslicht sie blenden.
    »Ich hab nicht gewusst, dass du so früh aufstehst«, erklärte sie. »Sonst hätte ich dir Frühstück gemacht.«
    »Es ist zwanzig vor neun«, antwortete ich, »und ich hab’s ziemlich eilig.«
    »Ich werd ein bisschen einkaufen«, sagte sie.
    »Musst du aber nicht.«
    »Tu ich gern.«

    Auf der Fahrt zum Polizeirevier hatte ich das ungute Gefühl von schicksalhafter Unvermeidlichkeit, fast wie damals, als mir mit fünfzehn meine erste richtige Abschlussprüfung bevorstand. Ich saß kerzengerade auf dem Fahrersitz und umklammerte mit beiden Händen das Lenkrad. Meine Wirbelsäule fühlte sich an wie eine Metallstange, meine Nackenmuskeln schmerzten vor Anspannung, und ich biss gegen meinen Willen die Zähne zusammen. In meinem Kopf pochte es, als würde jemand mit den Fingerknöcheln gegen meine Schläfen trommeln.
    »Idiot, verdammter Idiot!«, murmelte ich vor mich hin, als ich an einer Ampel anhalten musste, die von Rot auf Grün und wieder auf Rot schaltete, ohne dass sich auch nur ein einziger Wagen vorwärts bewegte, weil ein Sattelschlepper die Straße blockierte. Es regnete ununterbrochen. Ein paar Fußgänger mit Schirm gingen vorbei, den Blick auf den Boden gerichtet, um dem Hundekot und den Pfützen auf dem Gehsteig auszuweichen. Das graue, verstopfte, dreckige London.
    Mein Bericht lag neben mir auf dem Beifahrersitz. Er war etwa sechshundert Worte lang. Kurz und sachbezogen.
    Die Kassetten lagen in einer Plastiktüte daneben.
    Als ich vor dem Revier rückwärts einparkte, hörte ich plötzlich das unheilvolle Kratzen von Metall auf Metall.
    Wenn einem das passiert, kann man es seltsamerweise fast körperlich spüren, als wäre die Karosserie des Wagens die eigene Haut.
    »Mist!«
    Die Rückseite meines Autos klebte am glänzenden blauen Lack eines schrecklich teuer aussehenden BMW.
    Ich stieg aus und inspizierte im strömenden Regen den langen dünnen Kratzer, den ich dem anderen Wagen zugefügt hatte. Meiner hatte noch größeren Schaden davongetragen: Ein Rücklicht war kaputt und der Kotflügel zusammengeschoben wie eine zerknüllte Zeitung. Ich fischte einen Notizblock aus meiner Tasche und schrieb ein paar entschuldigende Worte, notierte außerdem meine Versicherungs- und Telefonnummer, faltete den Zettel ein paar Mal, um ihn vor der Nässe zu schützen und klemmte ihn dann unter die Scheibenwischer des BMW. Ich hatte vergessen, einen Schirm mitzunehmen und war bereits klatschnass. Als ich mich noch einmal in den Wagen beugte, um den Bericht und die Kassetten in meiner Tasche zu verstauen, spürte ich, wie das Regenwasser meinen Nacken hinunterrann.

    Furth hatte sich bereits an einem Tisch des Konferenzraums niedergelassen, ein Klemmbrett vor sich.
    Als ich eintrat, stand er auf und begrüßte mich mit einem freundlichen Nicken. Er war in Begleitung einer vorzeitig ergrauten Frau mit einem glatten, sanften Gesicht, die ich schon vom Sehen kannte, und eines untersetzten älteren Mannes mit einem Kranz widerspenstiger Haare rund um einen kahlen Oberkopf und kleinen, pfiffig dreinblickenden blauen Augen.
    »Wenn man von der Sonne spricht!«, sagte Furth.
    »Haben Ihnen schon die Ohren geklingelt? Kommen Sie, ich nehme Ihnen den Mantel ab. Jasmine kennen Sie ja schon, nicht? Jasmine Drake. Und das hier ist DCI Oban, mein Chef. Kaffee?

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