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Das rote Zimmer

Titel: Das rote Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Slip?«
    »Ooops!« Julie prustete vor Lachen. »Ich hab in einer Zeitschrift gelesen, dass es bei heißem Wetter ein herrliches Gefühl ist, in einen eisgekühlten Slip zu schlüpfen. Das ist alles.«
    »Aber so heiß ist es doch gar nicht.«
    »Deswegen liegt er ja noch im Kühlschrank. Ich warte auf die Hitzewelle.«
    Das war also geklärt. Ich rief noch einmal bei Will Pavic an.
    »Ja.« Gleiche Stimme, gleicher Tonfall.
    »Mr. Pavic, hier spricht Kit Quinn, und es wäre nett, wenn Sie sich erst anhören würden, was ich zu sagen habe, bevor Sie wieder auflegen.«
    »Ms. Quinn –«

    »Doktor.«
    » Dr. Quinn.« Er brachte es fertig, den Titel wie eine Beleidigung klingen zu lassen. »Ich bin wirklich sehr beschäftigt.«
    »Wie ich schon gesagt – oder zu sagen versucht – habe, helfe ich der Polizei bei ihren Ermittlungen im Mordfall Lianne.«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen.
    »Lianne, die tot am Kanal gefunden wurde«, fuhr ich fort.
    »Ich weiß, wen Sie meinen, aber ich weiß nicht, wieso Sie von mir Hilfe erwarten.«
    »Ich wollte mit Leuten sprechen, die sie gekannt haben.
    Die mir etwas über ihr Leben erzählen können, über den Umgang, den sie pflegte, ihre Sorgen und Ängste, und ob sie die Sorte Mensch war, die –«
    »Auf keinen Fall. Ich werde nicht zulassen, dass die jungen Leute hier von Ihnen oder der Polizei belästigt werden. Die haben auch so schon genug Probleme.«
    Ich holte tief Luft. »Und was ist mit Ihnen, Mr. Pavic?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Kann ich mit Ihnen über sie sprechen?«
    »Ich habe nichts zu sagen. Ich kannte Lianne ja kaum.«
    »Sie haben sie gut genug gekannt, um ihre Leiche zu identifizieren.«
    »Ich wusste, wie sie aussah, das natürlich schon.« Sein Ton klang schroff. Vor meinem geistigen Auge sah ich einen strengen grauen Mann mit einem scharf geschnittenen Gesicht und wachsamen Augen. »Ich nehme aber nicht an, dass Sie über ihr Aussehen diskutieren wollen. Sie wollen wissen, wie es in ihrem Kopf ausgesehen hat, stimmt’s?« Seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

    Ich hatte nicht vor, die Beherrschung zu verlieren. Je aufgebrachter er wurde, desto ruhiger fühlte ich mich. »Es wird nicht lange dauern.«
    Ich hörte, wie er mit einem Stift nervös auf irgendeiner Unterlage herumtrommelte. »Also gut, was wollen Sie wissen?«
    »Kann ich vorbeikommen und persönlich mit Ihnen sprechen?«
    Völlig ausgeschlossen, dass ich übers Telefon etwas von ihm erfahren würde.
    »Ich habe in knapp einer Stunde eine Besprechung, und danach –«
    »Ich bin in einer Viertelstunde bei Ihnen«, unterbrach ich ihn.
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Pavic, ich weiß das zu schätzen.« Nun war es an mir, rasch aufzulegen.
    Ich schnappte mir meine Tasche und Jacke und stürmte aus dem Büro, bevor er die Chance hatte, mich zurückzurufen.

    Das Tyndale Centre für junge Leute war ein großes, mit seinen Metallfenstern nicht gerade einladend wirkendes Gebäude aus der Vorkriegszeit, eingeklemmt zwischen einem schlampigen Pub und einem der wohl hässlichsten Wohnblöcke Londons – schmutzige graue Betonblöcke und scheußliche kleine Fenster, von denen ein Teil eingeschlagen war. An einer Ecke schlängelte sich ein farbenfrohes Wandgemälde nach oben, Blüten und Ranken, die bis unters Dach reichten. Vielleicht sollte es Jack and the Beanstalk darstellen. Etwa zwei Meter über dem Boden war von anderer Hand »Fuck Off« über das Kunstwerk gekrakelt worden. Die Häuser auf der anderen Straßenseite standen offenbar leer, Fenster und Türen waren zugenagelt, die Vorgärten von Unkraut überwuchert. Zwei kahl geschorene Jugendliche kickten auf der Straße einen abgewetzten Tennisball zwischen sich hin und her, hielten aber inne und starrten mich misstrauisch an, als ich mich der Tür näherte.
    »Hallo?«
    Ich war nicht sicher, ob das Mädchen, das mir die Tür öffnete, eine von den jungen Leuten oder eine Helferin war. Sie hatte violettes Haar, mehrere Stecker in Augenbrauen und Nase und ein liebes Lächeln. Sie trug riesige zottige Hausschuhe. Hinter ihr erstreckte sich eine große Diele, von der mehrere Gänge abzweigten. Von oben dröhnte Rap-Musik herunter, und man hörte jemanden etwas schreien.
    »Ich bin Dr. Quinn und mit Will Pavic verabredet.«
    »Verabredet?«, rief ein Mann, der außer Sichtweite war.
    »Lass sie rein.«
    Die Frau trat beiseite. Die Diele war hellgelb gestrichen.
    In einer Ecke stand ein Blumentopf mit einem spindeldürren

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